Die Spaltung ist die Sackgasse

Spaltung ist die Sackgasse – Verbindung ist der Weg

  • „Zuerst ignorieren sie dich,
  • dann lachen sie über dich,
  • dann bekämpfen sie dich
  • und dann gewinnst du.“

Diese Aussage von Mahatma Gandhi hat mich die Tage in Berlin begleitet. Ohne diesen Spruch wäre ich in manchen Momenten hilflos gewesen. So habe ich mich minütlich erinnert an meine innere Haltung – auch inspiriert von Marshall Rosenberg und seiner „Gewaltfreien Kommunikation“.

Wie sieht friedlicher Protest im Ernstfall aus? Kann ich das überhaupt – friedlich bleiben – wenn mir selbst oder meinem Nachbarn Unrecht geschieht?

Und ich stelle fest: Ja, ich kann das! Wir alle können das! Das ist mir klar geworden in den Tagen in Berlin.

Und dieses Mal war Berlin eine andere Erfahrung: ich sage es mal ganz plakativ, ich hatte das Gefühl, wir seien zum Abschuss freigegeben. Der Ton ist schärfer geworden. Vor allem in der normalen Bevölkerung hat die Aggressivität uns – den Andersdenkenden – zugenommen. Das war für mich besonders in den Öffentlichen Verkehrsmitteln zu spüren, bis hin zu direkter körperlicher Bedrohung. Das hat mich fassungslos gemacht. In Berlin herrscht die „Lizenz zum Töten“, um mit James Bond zu sprechen.

Und die Erfahrungen mit der Polizei: noch nie in meinem Leben stand ich einer Reihe von bis an die Zähne ausgestatteten und vermummten Polizisten gegenüber, die den Befehl zur Räumung hatten. Schutzhelme, Kampfmontur (keine Ahnung), Schlagstöcke, Visiere, Sturmhauben und – natürlich! Masken! Einzig die Augen der Polizisten waren zu sehen. Und da standen wir, in T-Shirts und FlipFlops, harmlos und wehrlos. Diese Momente des Gegenüberstehens dauerten eine gefühlte Ewigkeit… Die Polizei rückte jedes Mal mit einem beachtlichen Aufgebot an.

Nun gut – ich stand also vor dieser Reihe von Polizisten und bin verstummt. Lange. Ich habe mir die Frage gestellt: kann die spürbare Kluft zwischen uns überwunden werden? Wie geht das? Kann auch ich das? Es ist im Prinzip ganz einfach: es ist Verbindung schaffen! Auch und gerade zu den Polizisten. Das funktioniert nicht mit jedem und nicht zu jeder Zeit, doch es funktioniert!

Ich habe versucht, einen gemeinsamen Nenner zu finden. Was verbindet uns? Und so habe ich begonnen, die Polizisten z.B. zu fragen, ob sie Kinder haben? (Interessanterweise hatten alle von mir befragten Polizisten keine Kinder… dafür haben alle eine Mutter) „Was willst du deinen zukünftigen Kindern einmal erzählen, wo du am 30. August 2020 gestanden hast? Auf welcher Seite du warst?“ Usw. Ich habe sie mit Fragen dieser Art quasi bombardiert. Die meisten haben geantwortet, nur wenige waren höhnisch und abwertend und haben mich ignoriert.

Interessanterweise habe ich eine Handvoll Polizisten wieder erkannt, noch vom 1. August. Und ich habe sie dieses Mal immer wieder getroffen, und auch ich wurde wieder erkannt! Es sind „dieselben“ Polizisten bei den Einsätzen. So entsteht Beziehung… wäre ich strategischer Einsatzplaner würde ich ja gerade das verhindern und immer wieder neue und unverbrauchte Polizisten in den Einsatz schicken. Nun gut, das ist zu unserem Vorteil.

Auch aus dieser Erfahrung heraus bin ich überzeugt, dass es mehr Gemeinsamkeiten als Trennendes gibt. Auch mit der Polizei.

„Labelling“ und „Framing“ – wenn wir diese Methoden anwenden, ob unbewusst oder bewusst, so machen wir dasselbe wie dasjenige System, welches in uns überhaupt erst in diese Lage gebracht hat. Und das passiert auch in unseren Reihen. Doch: Spaltung ist die Sackgasse, Verbindung ist der Weg! Davon bin ich überzeugt. Wir müssen – ich verwende absichtlich den Imperativ! – wir müssen auch aufhören in „wir“ und „ihr“ zu trennen und zu unterscheiden. Wir sind in erster Linie Menschen, alle gemeinsam Menschen! Das ist der Ausgangspunkt. Nur das zählt!

Was ist das Fazit jetzt nach dem zweiten Mal Berlin? Was können wir tun?

Gemeinsam zusammenstehen, gemeinsam. Wir müssen die Menschen aus der Vereinzelung holen. Einen alleine kann man fertig machen, eine Gruppe dagegen nicht so leicht!

Wenn das System uns ignoriert, so bauen wir uns eben unser eigenes System. Eine Parallelwelt, die mit allem ausgestattet ist, was wir alle zum Leben brauchen. Lasst uns ein neues Land aufbauen, wir alle gemeinsam, jeder einzelne von uns beginnt in seinem eigenen Lebensbereich. Genau jetzt und genau hier. Wir bauen ein Land mit einem eigenen Bildungssystem, mit Kindergärten und Schulen, so, wie es unseren Werten entspricht. Eine freie Presse haben wir ja bereits… und jeden Tag wachsen neue Initiativen zusammen. Lasst uns das alte, destruktive System hinter uns lassen, es wackelt und knarzt hörbar, wir brauchen es nicht mehr!

Lasst uns ein neues Land aufbauen – machen wir uns an die Arbeit!

Was wir jetzt brauchen, ist Hilfe zur Selbsthilfe! Jeder kann etwas tun! Es ist die innere Kraft und Entschlossenheit jedes Einzelnen – in der Gemeinsamkeit! –  es ist die Stärke der Herzen, die trägt.

Also, lasst uns beginnen! Deckt Euch mit Pullovern, Regencapes und Jacken ein, es wird Herbst… Ihr wisst: das ist kein Sprint, das ist ein Langstreckenlauf!

Machen wir uns alle gemeinsam an die Arbeit!

Juliane Prentice Badenweiler, 5.09.2020

3 Comments

  1. Lang Monika

    Ich, 64 Jahre, weiblich habe ähnliche Erfahrungen gemacht. Auch meine Freundinnen aus NRW. Es waren Einheiten ohne Nr. aus NRW nach Berlin angerückt.
    Meine beiden Freundinnen habe ich auf einer Demo kennengelernt. Sie haben gemeinsam vor zwei Jahren eine Firma gegründet. Pysotheraphie, Yoga, Meditation etc. Seit März keine Einnahmen. Die Menschen haben Angst sich anzustecken.
    Nach dem ich nicht mit Mundschutz Bus noch Bahn fahre mit dem Auto angereist. Um 23 Uhr habe ich kein, für mich bezahlbares Hotel gefunden. Alle hatten durch die Coronamassnahmen keine Nachtpotier oder waren ausgebucht. Da ich kein Navi besitze bin ich auf den Kudamm gefahren und habe zwei ganz nette Polizisten meine Sitation geschildert. Einer hat mir ein Hotel in der Nähe der Demo gesucht und mich dorthin eskortiert. Seine Eltern sind 1952, genau wie meine aus der DDR geflüchtet. Er hat mich gedrückt und gesagt, er bewundert meinem Mut. Die vielen Menschen machen es richtig.
    Am nächsten Tag haben wir Nachts mit Polizisten/innen aus NRW gesprochen. Diese waren auch ohne Maske und hatten die gleiche Einstellung wie wir.
    Wir haben uns als Helfer zur Verfügung gestellt, damit der Abstand an der Siegessäule gewahrt wird und die Redner anfangen können.

    Grüssle aus dem Schwarzwald

    Monika Lang

    1. Juliane

      Hallo Monika, wie ergänzend und berührend ist Deine Schilderung! Das macht Mut – tausend Dank dafür!
      Juliane

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