Corona-Schnelltest werden mittlerweile von vielen Berufsgruppen angeboten. Nicht nur Apotheken und Ärzte bieten diese Tests an sondern auch Immobilienunternehmer, Friseure, Gastronomen.
Es scheint ein Geschäft, ein Prozess der völlig außer Kontrolle geraten ist.
Um kostenlose Bürgertests anbieten zu können brauchen sie nur den Nachweis über einen Online-Kurs für die Abstrich-Entnahme und dann stellen Sie einen Antrag auf Eröffnung eines Testzentrums beim zuständigen Gesundheitsamt.
In den meisten Fällen wird das umgehend genehmigt.
Das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales in NRW eilte auf Anfrage mit, dass im März 1862 Teststellen in Nordrhein-Westfalen gab. Im April waren es schon 5776 und Mitte Mai 8735.
Die einzelnen Teststellen rechnen direkt mit der Kassenärztlichen Vereinigung ab und bekommen umgehend das Geld überwiesen.
Die Kassenärztliche Vereinigung bekommt das Geld vom Bundesamt für Soziale Sicherung zurück – also komplett aus Steuergeldern.
Keine Kontrollen
Mit den Tests ist sehr viel Geld zu verdienen. So werden pro Bürgertest 18 Euro abgerechnet. 12 Euro kostet die eigentliche Testung und 6 Euro werden für das Material bezahlt. Niemand fühlt sich aber für die Kontrolle der Abrechnungen zuständig. Weder die Gesundheitsämter, Kassenärztliche Vereinigung, Bundesämter oder die Gesundheitsministerien kontrollieren die Abrechnungen.
Es heißt der Missstand liege im Paragraf 7 Absatz 4 der Testverordnung des Gesundheitsministeriums. Dort ist zu lesen:
„Die zu übermittelnden Angaben dürfen keinen Bezug zu der getesteten Person aufweisen“
Also gibt es Geld vom Staat ohne jegliche Belege. die Testzentren dürfen keine Namen und/oder Anschriften der getesteten übermitteln, sie müssen noch nicht einmal nachweisen dass sie Tests eingekauft haben.
An die Kassenärztliche Vereinigung werden einfach die angeblichen Zahlen der Getesteten übermittelt und kurze Zeit später wird das Geld überwiesen.
Keine Ahnung
Als eines der wenigen Länder die überhaupt wissen, wie viele Schnelltests im Land stattfinden hat NRW die Teststellen dazu verpflichtet die Bürgertests täglich online zu melden.
Die Süddeutsche Zeitung, der WDR und der NDR haben Zahlen aus den internen Datenbanken zugespielt bekommen und konnten so mehrere Standorte eines der größten deutschen Testbetreibers MediCan genauer analysieren.
Immobilien und Testcenter
„Inhaber von MediCan ist der Immobilienunternehmer Oguzhan Can, der bis 2019 auch Aufsichtsratschef des Fussball-Regionalligisten Wattenscheid 09 war. Auf seiner Website coronatest-eu.com finden sich immerhin 54 Testzentren in 36 Städten Deutschlands, Schwerpunkt ist NRW. Viele dieser Teststellen finden sich auf den Parkplätzen von Baumärkten, eine davon auch in Gievenbeck, einem Stadtteil von Münster. Von 8 Uhr morgens an zählen die Reporter am Freitag den 14. Mai etwas mehr als 100 Personen an den beiden Testzelten. Um 19 Uhr wird die Teststation geschlossen. Ans Ministerium meldet MediCan für diesen Tag aber 422 Bürgertests.
Eine Woche später ein anderer Standort: Marsdorf, ein Außenbezirk von Köln. Vor dem „Roller“-Markt steht ein roter MediCan-Bus. Das Testzentrum hat diesmal von 10 bis 20 Uhr geöffnet. In dieser Zeit kommen rund 80 Personen vorbei, um sich testen zu lassen. Für diesen Tag meldet MediCan an das Ministerium allerdings 977 Personen.
Dritter Standort: Ikea in Essen. Am Samstag, den 22. Mai, ist der Andrang groß, offiziell öffnet die Teststelle um 10 Uhr, doch schon 20 Minuten zuvor testet MediCan bereits. Bis 20 Uhr lassen sich hier etwa 550 Menschen testen. Doch ans Ministerium meldet MediCan für diesen Tag an diesem Ort nicht 550, sondern 1743 Bürgertests.“
Zahlen lediglich zusammengefasst?
Bei den Zahlen handelt es sich um keine Ausreißer. Auch an den Tagen davor und danach werden ähnlich hohe Testzahlen gemeldet. Mit den Zählungen konfrontiert, erklärt MediCan-Inhaber Can: „Die Testzahlen stimmen im Ganzen, aber nicht auf die einzelnen Standorte bezogen.“ Das liege daran, dass „die Testungen in einigen Städten mit mehreren Standorten auch zusammengefasst übermittelt werden“. Dies erfolge „in Absprache mit den Behörden“.
Zuständige Ämter dementieren
Doch stimmt das? In Münster erklärt das Gesundheitsamt, dass MediCan nur über zwei Teststellen verfügt. Für beide meldet das Unternehmen hohe Zahlen. Dass es mit dem Behörden abgesprochen sei, Zahlen aus einem Standort bei einem anderen draufzuschlagen, weist die Stadt Münster zurück. „Diese Absprache gibt es nicht“, versichert der Sprecher des Oberbürgermeisters schriftlich. „Der Teststellenbetreiber hat über dieses Vorgehen informiert, welches dann vom Gesundheitsamt umgehend abgelehnt worden ist.“
Auch die Stadt Essen dementiert, dass es derartige Absprachen gebe. Köln verbietet sogar ausdrücklich eine Übertragung der Zahlen auf andere Standorte. „Es ist einfach gemäß der Verordnung nicht zulässig“, teilt der Sprecher der Oberbürgermeisterin per E-Mail mit. Die Frage, welche angeblich weiteren Teststandorte in Köln, Münster oder Essen hinzugezählt wurden, die dann die hohen Meldezahlen erklären könnten, beantwortete Can nicht. Er betont allerdings, dass die dem Ministerium „gemeldeten Testzahlen nichts mit der KV Abrechnung zu tun“ hätten.
Keine positiven Tests
Fragen werfen auch die Testergebnisse auf: So hat MediCan am Standort Münster-Gievenbeck innerhalb einer Woche 3600 Bürgertests gemeldet, darunter war aber kein einziger positiver. Am Standort Köln Marsdorf war unter den 9200 Bürgertests innerhalb der vergangenen Woche ebenfalls kein einziger positiv und in Essen bei Ikea waren von 12.199 dort gemeldeten Bürgertests genau 12.199 negativ.
Auf Nachfrage erklärt Can, dass es „seit ca. Anfang Mai sehr sehr wenige positive Tests“ gebe. „Wir sollten alle froh sein, dass die Inzidenzwerte in Deutschland zurück gehen.“ Laut dem internen Dashboard des NRW-Ministeriums wurde landesweit bei etwa jedem 350. Bürgertest ein positives Testergebnis entdeckt, am Mittwoch dieser Woche war einer von 700 Tests positiv.
Jens Spahn und die Testverordnungen
Der Sprecher von Gesundheitsminister Jens Spahn bestätigte dass Teststellenbetreiber keine Daten der Test oder Einkäufe übermitteln müssen aber die Teststellenbetreiber müssen die Belege selbstverständlich aufbewahren und später dem Finanzamt melden. Für jeden Unternehmer wohl der normalste Prozess, also keine große Neuigkeit und wohl kaum eine gute Sofort-Kontrolle.
Allerdings können die Kassenärztlichen Vereinigungen bestimmte Fälle prüfen, wenn sich Anhaltspunkte für einen Abrechnungsbetrug zeigen würden.
Kontrollfreie Zonen
Nach Aussagen der Kassenärztlichen Vereinigungen sind diese aber nicht für Kontrollen zuständig und Abrechnungsbetrug für sie schwer vorstellbar.
Ein hochrangiger Funktionär hat dem WDR aber hinter vorgehaltener Hand übermittelt, das allein im Mai Bürgertests für 50-60 Millionen abgerechnet worden sein und er von Kosten von rund einer Milliarde Euro ausgeht.
Im Sommer werden die Test wohl massiv zurückgehen – Zitat:
„Aber im Sommer wird dieser Markt zusammenbrechen, weil dann niemand mehr so einen Test braucht. Am Ende wird man auf die Tests schauen wie auf die Masken: Die Politik brauchte ganz dringend große Mengen, es war Wildwest, viele Glücksritter und Betrüger drängten in den Markt und es gab keine vernünftige Kontrolle.“
Die Stadt Münster kündigte an der Firma MediCan die Beauftragung für das dortige Testcenter zu entziehen
Quelle: Tagesschau.de
Quelle: WDR
Quelle: Süddeutsche Zeitung
Quelle: NDR
Bild: Pixabay – janeb13
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