In einer Artikel-Reihe zum Bundestagswahlkampf stellen wir die Parteien einzeln vor. Die Basis ist eine erst kürzlich entstandene Partei – gegründet vor allem als Reaktion auf die repressive Corona-Politik. Zentrale Inhalte sind eine Verknüpfung der Mitglieder zur „Schwarmintelligenz“ und Elemente der direkten Demokratie. Programmatisch bleiben allerdings viele Aspekte noch im Vagen. Aber zumindest beim Thema Corona-Aufarbeitung könnte die Partei eine belebende Rolle spielen. Von Tobias Riegel.
Was will die AfD?
Auf ganzen 210 Seiten geht man zumindest formal recht ausführlich auf die meisten politischen Felder ein und vermeidet dabei auch weitestgehend die Kampfrhetorik, für die Politiker dieser Partei bei ihren Verlautbarungen in den sozialen Netzwerken verrufen sind. Positiv ist auch zu vermerken, dass die AfD im Vergleich zu den anderen Parteien offenbar sehr viel Wert auf eine einfache, verständliche Sprache legt, die ohne unnötige Fremdwörter und komplizierten Satzbau auskommt.
Diese formalen Kriterien lassen sich jedoch nicht auf den Inhalt übertragen. Hier bleibt die AfD betont wolkig. Man hat sogar das Gefühl, dass die Autoren des Wahlprogramms genau die Inhalte, die viele potenzielle Wähler abschrecken würden, die sozioökonomisch nicht auf der Sonnenseite des Lebens stehen, sehr bewusst kurzfassen und argumentativ verkürzen. Während man beispielsweise die Folgen der Einwanderung für schlecht qualifizierte Arbeitnehmer ausführlich – natürlich einseitig negativ – herleitet, lässt man sich zu den Folgen der gleich an mehreren Stellen im Programm geforderten „Entschlackung und Flexibilisierung des Arbeitsrechts“ lieber überhaupt nicht aus.
In der öffentlichen Debatte wird die AfD gerne auf ihre Kernthemen reduziert. Das spielt der Partei sogar ins Blatt, inszeniert sie sich doch gerne als Vertreter des kleinen Mannes und wird erstaunlich häufig von Arbeitern gewählt, die offenkundig keine großen Probleme mit den AfD-Positionen bei diesen Kernthemen haben. Hier klafft jedoch ein großer Widerspruch, da die AfD vor allem bei den Themen, die für Arbeiter und den kleinen Mann von sozioökonomischer Relevanz sind, Positionen einnimmt, die sich ganz klar gegen die Interessen dieser Wählergruppen richten.
Rentenpolitik
Im letzten Jahr tobte in der AfD ein erbitterter Streit um die rentenpolitische Ausrichtung. Während der „völkische Flügel“ zum Angriff auf das „Kronjuwel der Linken“ blies, vertrat die wirtschaftsliberale Mehrheit der Parteifunktionäre eine neoliberale Rentenpolitik, die in ihren Forderungen selbst über die der FDP hinausgeht. Was herauskam, ist ein Kompromiss, der weder Fisch noch Fleisch und in sich völlig widersprüchlich ist. Die AfD verspricht „zukunftsfeste Renten“, meint damit jedoch nicht die Renten selbst, sondern die Rentenbeiträge. Hier drohe nämlich eine „Überlastung der Beitragszahler“ und die soll durch „höhere Steuerzuschüsse“ abgewendet werden. Da die AfD Steuern senken und gleichzeitig sowohl die Staatsausgaben drosseln als auch die Staatsverschuldung deutlich senken will, fragt man sich unweigerlich, woher man das Geld für diese Zuschüsse nehmen will. Die AfD verrät es. Die „Steuerzuschüsse zur Rente [sind] durch konsequente Streichungen von ideologischen Politikmaßnahmen, beispielsweise in der Migrations-, Klima- und EUPolitik, gegenzufinanzieren“. Unabhängig davon, wie sinnvoll oder besser sinnfrei dieser Vorschlag ist, bleibt das Programm an dieser Stelle jedoch jegliche Berechnungsgrundlage schuldig. Das ist nicht seriös, sondern populistisch.
Dazu passt es dann auch, dass die AfD sich an keiner Stelle konkret dazu äußert, wie hoch diese „gute Rente“, von der sie spricht, sein soll. Altersarmut soll dadurch verhindert werden, dass 25 Prozent der Grundrente – immerhin nennt man hier auch mal eine Zahl – nicht auf die Grundsicherung angerechnet werden soll. Davon profitieren jedoch nur Rentner, die auf weniger als 33 Jahre Grundrentenzeit kommen, da ansonsten schon heute bis zu 223 Euro Bruttorente für die Grundsicherung nicht als Einkommen angerechnet werden. Die Zahl der Profiteure eines solchen Modells wäre also überschaubar. Rentner, die sich oberhalb der Grundsicherung befinden, profitieren vom AfD-Modell überhaupt nicht.
Ansonsten setzt die AfD auf den Markt – „Statt linksgrüner „Weltrettungsprojekte“ braucht es marktwirtschaftliche Freiheit“. Zum Renteneintrittsalter äußert sie sich überhaupt nicht konkret. Das soll von den Betroffenen selbst entschieden werden; dass diese Entscheidung abhängig von den Abschlägen ja keinesfalls eine freie Entscheidung ist, lässt die AfD unerwähnt. Summa summarum sind die rentenpolitischen Positionen der AfD damit vor allem eines: substanzlos.
Sozial- und Arbeitspolitik
Nicht die politisch flankierte Lohnpolitik der Unternehmen, sondern die Zuwanderung ist offenbar schuld daran, dass die Lohnentwicklung in Deutschland seit Jahrzehnten so gering ist. Dies ist zumindest die rote Linie im Wahlprogramm der AfD, bei dem die eigentliche Sozialpolitik keine große Rolle einnimmt. Und die paar sozialpolitischen Forderungen, die es ins Programm geschafft haben, sind wie schon die rentenpolitischen Forderungen weitestgehend substanzlos. Man bekennt sich zum Mindestlohn – wegen des „durch die derzeitige Massenmigration zu erwartenden Lohndrucks“ -, sagt aber nicht, wie hoch dieser Mindestlohn denn sein soll. Man will ein „gerechtes Arbeitslosengeld I“, sagt aber nicht, wer es wie lange und in welcher Höhe bekommen soll. Man will „Lohndumping in der Leiharbeit verhindern“, bleibt jedoch auch hier Details schuldig. Schließlich will man die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung senken, indem man sie von „versicherungsfremden Leistungen“ befreit, sagt jedoch nicht, ob und wenn ja wie man diese Lücke gegenfinanzieren will.
Hartz IV will die AfD durch eine „aktivierende Grundsicherung“ ersetzen. Wie hoch diese Grundsicherung sein soll und wer sie wie finanziert, bleibt jedoch wie so vieles aus dem AfD-Wahlprogramm offen. Auf jeden Fall sollen die Zuverdienstmöglichkeiten für Grundsicherungsempfänger verbessert werden. Das fordert die FDP übrigens auch. Da freuen sich vor allem Unternehmen, die Lohndumping betreiben.
Klare Parallelen zum FDP-Programm finden sich auch in der Arbeitspolitik. „Wir wollen die Wirtschaft von politisch herbeigeführten Belastungen komplett befreien“, so tönt es im Wahlprogramm der AfD. Man lehne „hetzerische Klassenkampfrhetorik oder vorsätzlich herbeigeführte Konflikte durch Vertreter linker Parteien“ ab, was man wohl als klare Kampfansage gegen die Gewerkschaften verstehen kann. Generell lesen sich die arbeitspolitischen Forderungen der AfD dann auch eher so, als seien sie eins zu eins von den Arbeitgeberverbänden diktiert worden. Da fordert die AfD beispielsweise eine „Entschlackung und Flexibilisierung des Arbeitsrechts“; freilich, ohne in diesem Punkt konkreter zu werden. Man wird schon wissen, warum.
Steuern, Wirtschaft und Finanzen
Dass die AfD als ultra-neoliberale „Professorenpartei“ gestartet ist, merkt man vor allem im finanzpolitischen Teil des Programms, über den wohl jeder auch nur halbwegs progressive Ökonom die Hände über dem Kopf zusammenschlagen wird. Man will raus aus dem Euro und zurück zur D-Mark, palavert über die „Schuldenunion“ und die „Transferunion“, sieht in der „Niedrigzinspolitik der EZB“ die Grundlage allen ökonomischen Übels und will das „Target-2-Risiko“ beenden. Solche Slogans kennt man auch aus dem Finanzteil der WELT und die NachDenkSeiten haben derlei Finanzvoodoo im letzten Jahrzehnt regelmäßig kritisiert.
Wenn man die falschen Analysen aufstellt, kommt man natürlich auch zu falschen Ergebnissen. Und die Forderungen, die die AfD mit ihren ideologischen Scheuklappen aufstellt, sind geradezu hanebüchen. So fordert die AfD allen Ernstes die Abschaffung aller Substanzsteuern. Damit sind die Grundsteuer, die – nicht mehr erhobene – Vermögenssteuer und auch die Erbschaftssteuer gemeint. Die seien allesamt ungerecht und linksgrüne Umverteilungspolitik. Es gäbe „keinen akzeptablen Grund aus Trauerfällen Steuerfälle zu machen“, so das Wahlprogramm. Und ohnehin seien die Einnahmen aus diesen Substanzsteuern ja so gering, dass man sie auch gleich abschaffen könne.
Stattdessen schwebt der AfD das „Kirchhof-Modell“ vor, das die NachDenkSeiten bereits vor zehn Jahren als „Wahnsinn in Zahlen“ charakterisiert haben, der vor allem hohe und sehr hohe Einkommen ganz massiv von der Einkommensteuer entlastet. Die AfD will das gesamte Steuersystem auf diese in den oberen Einkommensgruppen entlastete Einkommensteuer und die Umsatzsteuer verlagern. Dies würde zu einer ganz massiven Mehrbelastung der Gering- und Normalverdiener führen und ist in letzter Konsequenz derart unsozial, dass noch nicht einmal die FDP sich trauen würde, einen solchen Ansatz auch nur laut zu denken.
Auch wenn es offensichtlich sinnlos ist, sich mit den fiskalpolitischen Forderungen zu beschäftigen, so seien diese der Vollständigkeit halber hier noch erwähnt. Man will raus aus den Schulden und weniger Geld ausgeben. Wo man außer bei den „linksgrünen Weltrettungsprojekten“ nun konkret kürzen will, verrät man jedoch nicht. Und diese Kürzungen sind ja schon für die Querfinanzierung der Rente verplant und zudem will man an anderen Stellen, wie dem Militär, deutlich mehr Geld ausgeben. Wie schon bei der FDP gibt es auch bei der AfD diesen nicht aufzulösenden Widerspruch: Viel weniger Geld einnahmen, in Summe genau so viel oder sogar mehr Geld ausgeben und gleichzeitig die Schulden abbauen – ach, gäbe es bei diesen Parteien doch nur mal jemanden, der auch nur die Grundzüge der Mathematik versteht.
Umwelt, Klima und Mobilität
Bestechend einfach ist die Position der AfD zur Klimapolitik. Sie will „dem Klimawandel positiv begegnen“. Zwar streitet die Partei „die jüngste globale Erwärmung“ nicht mehr ab – dafür aber, dass sie eine Folge menschlicher Aktivitäten ist. Klimaschwankungen habe es nun mal schon immer gegeben und sie seien nicht etwa etwas Schlechtes, sondern ganz im Gegenteil. „Während Kaltzeiten mit Not, Hunger und Kriegen verbunden waren“, habe „die Menschheitsgeschichte belegt, dass Warmzeiten immer zu einer Blüte des Lebens und der Kulturen führen“. Nun denn. Thema abgehakt. Oder soll man sich ernsthaft mit derlei Unfug auseinandersetzen?
Im negativen Sinn konsequent sind dann auch die Positionen der AfD, die sich aus der Klimafrage entwickeln. Wenn die globale Erwärmung was Tolles ist, braucht man natürlich auch keine Energiewende und muss den Individualverkehr nicht hinterfragen. Bei der AfD heißt es dann auch „Freie Fahrt für freie Bürger“. Man will kein Tempolimit einführen, sondern die bereits bestehenden Geschwindigkeitsbegrenzungen „überprüfen“. Jedoch ist auch die AfD ein Freund des Güterverkehrs auf der Schiene – nicht etwa weil das umwelt- oder klimapolitisch sinnvoller ist, sondern weil die LKWs von der Autobahn sollen, dass der AfD-Wähler noch besser Vollgas geben kann. Und der Flugverkehr? Der ist natürlich auch ganz prima und muss gestärkt werden. Will man es positiv ausdrücken, könnte man sagen, dass die AfD mit diesem Positions- und Forderungskatalog zumindest ein echtes Alleinstellungsmerkmal hat.
Sicherheits- und Außenpolitik
Eindeutig differenzierter sind da schon die sicherheits- und außenpolitischen Positionierungen der AfD. So tritt die AfD als einzige Partei für eine konsequente Entspannungspolitik gegenüber Russland ein und lehnt die Sanktionen gegen Russland konsequent ab. Man will die NATO zwar nicht abschaffen, aber dafür zu einem „reinen Verteidigungsbündnis“ machen, bei dem USA und Russland eingebunden sind.
Das klingt ja alles gut, aber wie glaubhaft sind diese Forderungen? Zwischen den Zeilen wird klar, dass es der AfD weniger um das friedliche Zusammenleben der Völker, sondern mehr um eine neue deutsche Dominanz in Europa geht. Man will auf Augenhöhe mit den beiden Atommächten USA und Russland im Konzert der Großen mitspielen und eine eigenständige Sicherheits- und Außenpolitik betreiben. Dafür soll unter anderem die Wehrpflicht wieder eingeführt und die Bundeswehr massiv aufgerüstet werden. Doch nicht nur das …
Die Bundeswehr soll wieder einen starken Korpsgeist, ihre Traditionen und deutsche Werte pflegen. Die Tugenden des Soldaten sind Ehre, Treue, Kameradschaft und Tapferkeit. Die Bundeswehr muss die besten Traditionen der deutschen Militärgeschichte leben. Sie helfen, soldatische Haltung und Tugenden – auch in der Öffentlichkeit – zu manifestieren. Militärisches Liedgut und Brauchtum sind Teil davon.
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Bild: Unsplash – Mark König
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