Beweis ohne Beweiskraft

ARD-faktenfinder

In den Medien kursiert ein Foto der Demonstration vom 1. August 2020 in Berlin, merkwürdigerweise wurde der Aufnahmezeitpunkt aus dem Bild gelöscht.

Ein großer Platz, nur locker mit Menschen gefüllt, das können doch keinesfalls die 500.000 oder 1,3 Millionen sein, die nach Angabe der „Corona-Leugner“ bei der Demonstration am 1. August 2020 in Berlin anwesen waren, oder? Leider ist so ein Foto ohne Aussagekraft, wenn nicht klar ist, wann es aufgenommen wurde — auf dem Höhepunkt der Veranstaltung oder eher am Anfang, als sich der Platz erst langsam füllte. Patrick Gensing hatte am 2. August 2020 als „ARD-faktenfinder“ beweisen dürfen, dass keinesfalls mehr als 20.000 Menschen an der Demo teilgenommen haben (1). Wenn sich die Gegner der Protestierenden ihrer Sache aber so sicher waren, warum wurde dann der Aufnahmezeitpunkt aus der Bilddatei entfernt? Die absurde Geschichte rief einen Sturm der Empörung hervor.

Gensing sieht sich deshalb genötigt, auf seinem privaten Twitter-Account („Ein Thread über Verifikation und Misstrauen“) Stellung zu nehmen. Es gelingt ihm, die Wirrnis noch zu steigern.

Dabei startet er mit einem kleinen Rückzieher:

„Für den Beitrag habe ich mit Reporterinnen und Reportern gesprochen, die vor Ort waren und unabhängig sowie übereinstimmend die Zahl der Teilnehmenden auf gut 20.000 geschätzt haben. Vielleicht 25.000, als Maximum.“

Es folgt ein schlagender Beweis:

„Die gezielt verbreitete Behauptung von 1,3 Mio. ist grotesk, man bräuchte eine vollkommen andere Infrastruktur für eine solche Massenveranstaltung (Bühnen, Toiletten, Versorgung, Ordnungskräfte, Platz).“

Diese tolle Argumentation weitet sein SPD-Follower Dirk Bachhausen noch aus: Da wäre ja auch viel mehr Polizei nötig gewesen!
Behauptung von Menschen am Samstag widerlegt

„Die Behauptung von Hunderttausenden oder sogar Menschen am Samstag war damit widerlegt. Aber es geht natürlich weiter. Nun tauchen Vorwürfe auf, das Bild rechts sei VOR der Veranstaltung aufgenommen worden.“

Hier bezieht er sich auf das Foto in seinem „Faktencheck“, von dem im übrigen natürlich niemand behauptet, es sei vor der Veranstaltung entstanden. Das war ja einfach zu klären:

„Wir hatten am Sonntag den Fotografen kontaktiert, der uns mitteilte: Das Bild wurde um 15:39 Uhr aufgenommen. Ich habe nach Anfragen von Medien noch einmal nachgefragt und mir die Daten der Bilddatei schicken lassen. Es bleibt dabei: 15:39:20 Uhr, um ganz genau zu sein.“
Aufnahmezeitpunkt aus Bilddatei entfernt

Er hat sich also die Daten der Bilddatei schicken lassen. Besser wäre es gewesen, sich die Bilddatei selbst geben zu lassen. Darin lassen sich insbesondere bei Fotos von Berufsfotografen u.a. detaillierte Informationen zur Aufnahmezeit ablesen — wenn sie nicht gelöscht wurden.

Man kann das Bild bei der Agentur imago kaufen:

Man erhält dann tatsächlich das hoch auflösende Bild. Allerdings sind die Daten gelöscht, die Auskunft über den Zeitpunkt der Entstehung geben könnten. Aus den Metadaten ist ledig-lich zu erfahren:

„photoshop:Creditimago images/Christian Spicker/photoshop:Credit
photoshop:DateCreated2020–08-01/photoshop:DateCreated“

Es handelt sich also nicht um das Originalfoto, sondern um eine von der Agentur verarbeitete Version. Das Originalbild dagegen wird Daten enthalten wie

„exif:DateTimeOriginal2014–09-09T17:05:40/exif:DateTimeOriginal“

Und nur die wären aufschlußreich. Statt des belegbaren Zeitpunkts erfahren wir von Gensing:

„Der Fotograf hat sogar noch den Bon für den Zugang zur Siegessäule, von der obersten Plattform hat er das Foto geschossen.“

Vielleicht hat er sogar 2 Bons? Einen von mittags und einen vom Nachmittag? Gezeigt wird keiner. Immerhin ist dem Checker jetzt auch aufgefallen, daß es sich hier nicht um ein Luftbild handelt, wie zuvor behauptet.
Sonnenstand-Recherche bestätigt, aber…

Doch auch diesem Argument traut er nicht so recht. Deshalb wendet er sich dem Problem des falschen Schattens (2) zu:

„Die Schlussfolgerung aus dem Video ist mMn allerdings falsch. Es untersucht lediglich den Sonnenverlauf, aber nicht den Schattenstand…

Der Sonnenverlauf allein sagt aber noch nichts über den Schatten aus. Dafür empfehle ich das Tool Shadowcalculator, das auch die Höhe von Gebäuden/Bäumen sowie den Verlauf der Straße leicht nach Norden berücksichtigt.“

Er präsentiert zwei kryptische Bilder, die unterschiedliche Schatten um 12:59 Uhr und 15:26 Uhr (?) zeigen sollen, das aber nicht tun. Deshalb fügt er vorsichtshalber zu:

„Das sind allerdings lediglich technische Tools, die Indizien liefern können. Allein sind sie kein Beweis. Klar ist, dass verschiedene Fotografen und die Bilddaten beweisen, dass die Bilder während der Kundgebung aufgenommen wurden.“
Alles klar: Es bleibt bei 20.000

Klar, wegen der Bons, die wir nicht sehen, und der Bilddaten, die entfernt wurden. Und wie ein ertapptes Kind schließt er:

„Zudem passt das alles zu den Berichten der Reporterinnen und Reporter. Für eine deutlich höhere Teilmehmerzahl liegen hingegen keine belastbaren Indizien vor.

Dennoch wird das Thema über Tage auf Social Media gespielt. In Mails und Messenger werde ich bepöbelt, weil ich angeblich manipuliert hätte; dazu kommen Anfragen von Kollegen, die wissen wollen, von wann das Foto sei, weil das Video so überzeugend sei. So läuft das heutzutage.

Erst wird irgendwas behauptet, dann wird das widerlegt — und diejenigen, die es widerlegen, werden dann der Lüge oder Manipulation bezichtigt. Und schon geht es nicht mehr um die #FakeNews an sich, sondern um die bösen Medien. Zack, Bumm, Bongjour. 😉

PS: In einem Tweet weiter oben fehlt einmal ‚1,3 Mio‘ vor Menschen, sorry. Man kann aber auch wahlweise ‚ganz viele‘ oder ‚50 Milliarden‘ einsetzen.“

Quelle: Rubikon.news

Bild: Pixabay-TheDigitalArtist

3 Comments

  1. Maro

    Wie ich hier schoneinmal geschrieben habe: Es waren meines Beobachtung nach 50.000 bis 100.000 Menschen dort. Ich habe ich mich bewusst mit der Anzahl der Menschen dort beschäftigt und zuhause mit Hilfe von Google maps nachgerechnet. So schwer ist das alles ja auch nicht, eine +/- Dichte zu bestimmen. Wenn jemand auf 200.000 Menschen kommt, dann würde ich dies auch noch soeben als realistisch ansehen können. Mehr geht nicht! Wenn jemand sagt es waren 20.000, dann ist es eine Lüge – eine Staatslüge: „Alternative Fakten“!. Es ist sehr einfach das zu berechnen. Das wären näcmlich nur 20 Personen nebeneinander mit 1 m Abstand auf 1000 m länge. Diese Dichte ist eindeutig zu gering und außerdem würden dann die Massen im angrenzenden Tiergarten einfach vergessen. Die waren ja auch nicht offiziell „Teilnehmer“. Die Polizei hat ja schließlich gefordert, dass die Menschen in den Tiergarten ausweichen sollen. Das alleine ist schon perfide genug, danach einfach nur die „Teilnehmer“ zu zählen.

  2. Michael Kahlenbach

    Richtig: Der selbst ernannte Fakten-Finder-Chef Gensing verbreitet entweder grob fahrlässig oder – schlimmer noch – vielleicht sogar bewusst und auf äußerst plumpe Weise fake news auf Kosten der GEZ-Zahler.

    Aber in einem hat er eben leider Recht: Die gebetsmühlenartig verbreitete Mär von den 1,3 Millionen Teilnehmern bei der Großdemo am 01.08.2020 in Berlin ist keinen Deut besser!

    Bei der folgenden Berechnung gehe ich von folgenden Annahmen – ihr dürft mich natürlich gerne korrigieren – aus:
    1) Länge des Videos (https://www.youtube.com/watch?v=gKuGWFeQCN4) vom Gesamtzug ca. 82 min
    2) Umzug legte insgesamt eine Strecke von ca. 8 km zurück
    3) Aufbruch der Spitze Unter den Linden gegen 11:40; Ankunft am Brandenburger Tor gegen 14:05
    4) Die schnelleren Demonstranten an der Spitze hätten damit eine mittlere Geschwindigkeit von ca. 0,9 m/s (3,3 km/h) gehabt.

    Bei dieser Geschwindigkeit gehe ich unter Berücksichtigung der beobachteten Abstände davon aus, dass pro Sekunde an einer bestimmten Stelle im Mittel nicht mehr als eine Reihe Demonstranten passieren konnte. Während der Gesamtdauer von 82 min = 4920 s wären dies entsprechend ca. 5000 Reihen von Demonstranten (Lücken und Fahrzeuge nicht eingerechnet). Bei einer Teilnehmerzahl von 100.000 hätten also bei der Video-Aufzeichung in der Friedrichstraße in jeder Reihe im Mittel 20 Demonstranten nebeneinander gehen müssen.

    Folgenden Kommentar habe ich an anderer Stelle zu diesem Thema verfasst:

    Ja, es kursieren erschreckend viele Falschmeldungen über die Teilnehmerzahl DER Demo am 01.08.2020 in Berlin.

    Und was besonders schwer wiegt: Viele Unterstützer der ’neuen demokratischen Bewegung‘ verbreiten diese Zahlen nach meinem Empfinden in grob fahrlässiger Weise, ohne zu hinterfragen, ob diese Zahlen plausibel sind. Und machen meiner Meinung nach die ganze Bewegung damit ein Stück weit lächerlich.

    Getoppt wird diese Naivität (oder Ignoranz?) nur noch von angeblichen Faktencheckern wie Correctiv oder dem ARD-Faktenfinder.
    Letzterer macht sich noch nicht einmal die Mühe klarzustellen, zu welchem Zeitpunkt das Luftbild – von dem wohl niemand behaupten wird, darauf 100.000e Demonstranten zu verorten – von der Kundgebung aufgenommen wurde und wie viele Teilnehmer der Demo zu diesem Zeitpunkt schon dort gewesen sein können.
    Aber den angeblichen Faktencheck von Correctiv halte ich auch nicht für viel besser: So werden offenbar Daten von der Polizei ungeprüft übernommen. Von einer Polizei, die schon zu einem sehr frühen Zeitpunkt an der auf dem Luftbild erkennbaren Absperrung auf ihren Mannschaftswagen die Meldung ‚überfüllt‘ angezeigt hat. Um weitere Teilnehmer der Demo davon abzuhalten, an der Kundgebung teilzunehmen?
    In jedem Fall würde ich es schon bei einem ‚Normalbürger‘ für absolut naiv halten, in diesem Zusammenhang den Informationen der Berliner Polizei blind zu vertrauen.

    Wenn aber eine Initiative, die vorgibt seriösen Faktencheck zu betreiben, so naiv ist, dann macht mich das sprachlos.

    Den Vogel in Sachen Naivität und Leichtgläubigkeit hat Correctiv in folgendem Absatz abgeschossen, den ich daher zitiere:

    <>

    Geplant war der Beginn des Umzugs für 11 Uhr. Tatsächlich setzte sich der Zug aber – nach Angaben der Veranstalter – erst um 11:40 in Bewegung. Ich selbst stand als einer der letzten bis ca. 13 Uhr Unter den Linden. Auf der Friedrichstraße wurde der gesamte Zug ca. 80 min lang gefilmt, so dass diese Angaben absolut plausibel sind. Ebenfalls nach Angaben der Veranstalter kam die Spitze des Zuges kurz nach 14 Uhr wieder am Brandenburger Tor an. Bei einer Wegstrecke von ca. 8 km, die der Zug insgesamt zurückgelegt hat, und einer Dauer von ca. 2,5 Std. – bezogen auf die Spitze des Zuges – ergibt sich eine mittlere Geschwindigkeit von ca. 3,2 km/h, was mir bei der Spitze des Zuges einigermaßen plausibel erscheint. Wie kann unter diesen Umständen die Demo gegen 14 Uhr geendet haben?
    Dass die letzten erst gegen 16:30 wieder am Brandenburger Tor ankamen – und somit ca. 3,5 Std. für dieselbe Wegstrecke gebraucht haben – ist auf die Tatsache zurückzuführen, dass der Zug teilweise durch engere Straßen führte und sich infolge von ‚Staus‘ in die Länge zog.

    Für mich hat das mit seriösem Faktencheck überhaupt nichts zu tun, wenn hier mit Verweis auf das Mapchecking-Tool eine max. Teilnehmerzahl von 173.600 zwischen Yitzhak-Rabin-Straße und Großem Stern behauptet wird – ohne anzugeben, auf welchen Annahmen – insbesondere im Hinblick auf die Straßenbreite – diese Schätzung beruht. Ich nenne so etwas Pseudo-Wissenschaft.

    Ich selbst habe auf Höhe der Bühne direkt hinter dem Zaun im Tiergarten gestanden, weil es dort auf der Straße gegen 17 Uhr sehr eng war und ich mich nicht auch noch hineindrängeln wollte. Aber mit Gewissheit sagen, wie breit die Straße dort ist, könnte ich nicht. Aufgrund von Satellitenbildern schätze ich die mittlere Breite der Straße des 17. Juni in diesem Bereich auf ca. 50 m. Die Länge des zugrunde gelegten Abschnitts beträgt ca. 1250 m, woraus sich eine Fläche von ca. 62.500 qm ableiten lässt. Bei 5 Menschen pro qm – was meines Erachtens als Mittelwert zu hoch angesetzt ist – käme man dann auf max. ca. 312.500 Teilnehmer. Und eben nicht auf 173.600.

    Die Ausführungen von Correctiv zu den weiteren Demonstrationen im Bereich des Brandenburger Tors halte ich im besten Fall für grob-fahrlässig irreführend. Man könnte auch sagen maßlose Schlamperei.

    Man sieht auf dem Lufbild deutlich einen der Wagen aus dem Umzug vor der Absperrung. Und da der Umzug zum Zeitpunkt der Enstehung des Luftbildes – nach Correctiv angeblich gegen 16 Uhr – noch in vollem Gange war, steht für mich zweifelsfrei fest, dass es sich bei den Menschen, die man auf diesem Luftbild zwischen Absperrung und Brandenburger Tor sieht, um Teilnehmer der Demo handelt, die zur Straße des 17. Juni strömten. Ich selbst habe als einer der letzten im Zug gegen 16:30 den Weg durch’s Brandenburger Tor und dann – die Absperrung umgehend – durch den Tiergarten bis zur Bühne genommen.

  3. Klaus K.

    Die Polizei hat ein perfides Spiel mit den Demo-unerfahrenen Veranstaltern gespielt. Zuerst hat man hat vorgegeben, auf der Seite der Demonstranten zu stehen und kaum Polizisten geschickt. Dann hat man mehrfach die absurde Zahl 800.000 „geleakt“. Die 1,3 Mio kommen wohl von „mitgehörten“ lauten Gesprächen zwischen Polizisten. Die „Covidioten“ glauben es auch noch und machen es sich zu eigen. Mit der Zahl werden die Demobusse weggelotst. Dann versuchte sie, den Demoführer frühzeitig zur Beendigung zu überreden. Mit der Behauptung, der Kundgebungsplatz sei überfüllt, versuchte man, Veranstaltungsteilnehmer wegzuschicken. Auch war dieser schlecht gewählt: Weit außerhalb ohne jegliche Infrastruktur: Keine Toiletten, kein Wasser, keine Zufahrtsmöglichkeit während der Veranstaltung. Die Polizei und Politik wird am 29. noch besser vorbereitet sein. Wir müssen es dann auch sein.

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