Thomas Röper – Reise im Donbass – Der Optimismus von Wolnowacha

Ich bin wieder im Donbass unterwegs und veröffentliche hier meinen Bericht über den ersten Tag der Reise.

Am Sonntag, dem 10. April, sind wir (zwei holländische Journalistinnen, ein Amerikaner und ich) mit einem VW-Bus morgens um 6 Uhr aus Moskau losgefahren. Die Fahrt ging über 1.100 Kilometer nach Rostow am Don, wo wir gegen 20.00 Uhr angekommen sind. Nach einigen Stunden in einem Restaurant ging es um ein Uhr Nachts mit einem großen Reisebus und insgesamt etwa 30 internationalen Journalisten in Richtung Donezk, wo wir aufgrund einer sehr langen Wartezeit an der Grenze erst um 8 Uhr morgens angekommen sind.

Donezk unter Beschuss

Aufgrund der Verspätung hatten wir keine Zeit mehr, ins Hotel zu fahren und fuhren direkt zu unserem ersten „Arbeitsort“. Dass war der Donezker Stadtteil Textilschik, wo einige Tage zuvor ein Haus von einer Rakete getroffen wurde. Bei dem Stadtteil handelt es sich um ein reines Wohngebiet mit Wohnhäusern, Schule und Kindergarten.

Bei meinen bisherigen Reisen in das Krisengebiet habe ich zwar einiges an Zerstörung gesehen, aber keinen einzigen Schuss und keine einzige Explosion gehört. Das war dieses Mal anders. An diesem Montagmorgen war ein ständiges Wummern mit mal leiseren und mal lauteren hervorstechenden Explosionen das ununterbrochene Hintergrundgeräusch.

Wie schon bei meiner ersten Reise nach Donezk kam Denis Puschilin, der Chef der Donezker Volksrepublik, zu uns, gab eine Erklärung ab und stand geduldig für Fragen zur Verfügung. Anschließend führte uns eine zweistündige Busfahrt zum nächsten Ziel. Auf dem Weg dahin erfuhren wir, dass dort, wo wir eben noch gefilmt hatten, zehn Minuten nach unserer Abfahrt drei Geschosse eingeschlagen sind, die allerdings keine Opfer gefordert haben.

Einige von uns, die – wie ich – schon mehrmals in dem Konfliktgebiet gewesen sind, sind bereits nachlässig geworden und auch schon mal ohne Schutzwesten durch die Gegend gelaufen. Diese Nachricht war eine deutliche Erinnerung daran, dass man im Donbass nie sicher sein kann, dass nicht im nächsten Moment etwas „von oben kommt.“ Die ukrainische Armee hält dabei bewusst auf zivile Ziele, wie wir hier wieder erleben mussten.

Optimismus in Wolnowacha

Unser nächstes Ziel war die Kleinstadt Wolnowacha, die wir schon vor zwei Wochen besucht hatten. Die Stadt war schwer umkämpft und ist schwer zerstört. Diejenigen von uns, die dort schon vor zwei Wochen gewesen sind, waren etwas enttäuscht, denn Wolnowacha hatten wir ja schon gesehen und wir wollten natürlich neue Eindrücke sammeln. Wie sich herausstellen sollte, war die Enttäuschung verfrüht, denn wir bekamen neue – und zwar sehr unerwartete – Eindrücke zu sehen.

Zuerst fuhren wir zur Schule der Stadt, wo man an diesem Tag die Neueröffnung nach dem Beschuss gefeiert hat. Mit dem Beginn der Feier hat man extra auf die internationalen Journalisten gewartet, weshalb ich zunächst den Eindruck hatte, das wäre eine Inszenierung. Aber nachdem die Zeremonie vorbei war und wir mit Eltern und Kindern dort sprechen konnten, habe ich bedauert, nicht gefilmt zu haben.

Die Stimmung dort war vollkommen unerwartet. Als wir vor zwei Wochen in Wolnowacha gewesen sind, war es in der Stadt sehr still, die Menschen waren noch unter Schock und wahlweise sehr verschlossen, oder haben völlig aufgedreht über die ukrainische Armee geschimpft, die bei ihrem Abzug wahllos auf alles geschossen hatte, was sich bewegt hat. Eine Frau erzählte mir, wie sie mit ihrer 16-jährigen Tochter dreimal unter Beschuss den Keller wechseln musste. Die Tochter lachte dabei und auf meinen ungläubigen Blick sagte sie, sie habe genug geweint, jetzt gehe es wieder vorwärts. Außerdem hätten alle ihre Freunde überlebt, alles andere sei unwichtig.

Bei diesem Besuch war die Stimmung in der Stadt vollkommen anders, als zwei Wochen zuvor. Die Menschen haben gelächelt, waren offen und gesprächsbereit und sie haben einen Optimismus ausgestrahlt, der mich vor dem Hintergrund all der zerstörten Häuser vollkommen überrascht hat. Die Wiedereröffnung der Schule war für die Menschen ein Symbol dafür, dass sich das Leben wieder normalisiert. Daher war das keineswegs eine Inszenierung für uns, in den Gesprächen mit den Eltern und Kindern nach der Veranstaltung wurde deutlich, wie wichtig und symbolisch dieses Ereignis für alle war.

Es gibt zwar immer noch keinen Strom und kein fließend Wasser in Wolnowacha, aber an einigen Stellen sind Dieselgeneratoren aufgestellt, die Strom liefern, wo er als besonders wichtig erachtet wird.

Eine Schülerin zeigte mir das einzige Loch in der Mauer der Schule, die ansonsten – bis auf die kaputten Fenster und Einschusslöchern von Gewehrkugeln – unbeschädigt war. Sie lachte und sagte, das ukrainische Gechoss habe ausgerechnet das Klassenzimmer zerstört, in dem sie vorher Ukrainisch gelernt haben.

Kinderfeste

Danach sind wir zum zentralen Platz von Wolnowacha gefahren, wo wir bei unserer ersten Fahrt nach Wolnowacha auch gewesen sind. Damals war noch alles von Trümmern übersäht und auf dem Platz wurde aus LKW humanitäre Hilfe ausgegeben. Das war ein trostloser und deprimierender Anblick, zumal die Menschen auch noch alle sichtbar unter Schock gestanden haben. Die Videos dazu finden Sie in meinem Bericht über die Reise von vor zwei Wochen.

Nun war hier alles anders und ich habe nicht sofort verstanden, dass wir wieder an demselben Platz waren. Zwar waren die umstehenden Häuser immer noch zerstört und vor ihnen lagen Trümmer, aber der Platz und der Park dahinter waren aufgeräumt, als hätte es nie Kampfhandlungen gegeben.

Es waren Menschen auf der Straße, die spazieren gingen, eine Frau erzählte mir, dass der Markt der Stadt von diesem Platz woanders hin verlegt worden wäre und wieder geöffnet sei.

Das Warenangebot sei zwar noch mehr als spärlich, aber immerhin sei der Markt wieder offen.

In dem Park fand ein Kinderfest statt und wie mir die Einwohner erzählten, finden solche Feste alle paar Tage statt, um die Kinder von dem Erlebten abzulenken. Die Kinder singen und spielen mit Animatoren, die sich alle Mühe geben, die Kinder auf andere Gedanken zu bringen. Und wenn man gesehen hat, wie die Kinder mitmachen, scheint das ganz gut zu funktionieren. Bizarr war an der Szene allerdings, das ausgebrannte Haus im Hintergrund.

Das Krankenhaus von Wolnowacha ist in Russland zu trauriger Berühmtheit gekommen, weil die ukrainische Armee es vor ihrem Abzug mit Panzern beschossen und zerstört hat, worüber ich in meinem oben verlinkten letzten Bericht aus Wolnowacha schon berichtet habe.

Vor zwei Wochen waren die Menschen auch hier noch unter Schock, allerdings waren sie sehr redselig und die Krankenhausangestellten erzählten ausführlich von dem, was sie durchgemacht hatten, als der Beschuss begann.

Auch hier war es jetzt schon aufgeräumter als vor zwei Wochen und in einem Flügel des Krankenhauses gibt es bereits wieder ein Behandlungszimmer für Notfälle, außerdem ist ein Operationssaal und auch einige Patientenzimmer, um zumindest kurzzeitig Patienten stationär aufzunehmen, fast fertig. Auch Medikamente gibt es wieder.

Der Chefarzt, der uns nun durch das Innere des Krankenhauses führte, erkannte mich wieder und begrüßte mich per Handschlag und eine Frau, mit der ich beim letzten Mal lange gesprochen hatte, fiel mir um den Hals und rief „unser Deutscher ist wieder da!“ Es war eine etwas surreale Wiedersehensfreude, aber der Optimismus der Leute dort war einfach unglaublich.

Ich kannte die Geschichten der Menschen ja schon, aber die „neuen“ Journalisten hörten ungläubig zu, als eine OP-Schwester erzählte, dass sie zu Beginn der Militäroperation vor allem verwundete ukrainische Soldaten behandelt haben, dass nach einigen Tagen die ersten verletzten Zivilisten dazu kamen und wie das Krankenhaus dann von der abziehenden ukrainischen Armee zusammengeschossen wurde und sie alle sich mit den Patienten in den Keller flüchten mussten, wo während des Beschusses sogar Kinder geboren wurden.

Jetzt, mit zwei Wochen Abstand, konnten sie alle wieder lächeln und auch die Krankenschwester konnte nun bei der Erinnerung daran, wie bei all dem Chaos Kinder auf die Welt gekommen ist, lächeln. Das war vor zwei Wochen noch ganz anders. Ich wiederhole mich, aber besonders beeindruckend war der Optimismus der Leute, die mit leuchtenden Augen von den Plänen für den Wiederaufbau gesprochen haben.

Auch der Humor war wieder da. Im Hof des Krankenhauses saßen einige Leute, eine Frau war sehr schmutzig, und die Frau, die mir um den Hals gefallen war, sagte: „Das ist unsere Obdachlose, die sieht immer so aus. Obwohl, heute sind wir ja alle obdachlos“ Und dabei lachte sie allen Ernstes.

Die Seeleute

Von Wolnowacha sind wir wieder nach Donezk zurückgefahren, wo es noch eine Pressekonferenz gab. In Russland hat eine russische Schiffsbesatzung Schlagzeilen gemacht, deren Schiff in Mariupol im Hafen beladen wurde, als die russische Militäroperation begann. Sie saßen im Hafen fest, konnten wegen Seeminen nicht ablegen und konnten wegen der Kampfhandlungen das Schiff nicht verlassen. Sie saßen dort sechs Wochen fest und haben sich im Schiff versteckt, weil es in der Regel zu gefährlich war, sich an Deck zu begeben.

Im Gegensatz zu anderen Schiffen, die dort festsaßen, bestand diese Besatzung fast nur aus Russen. Ende März kamen Kämpfer des Asow-Regiments an Bord, haben allen Handschellen angelegt und danach einen nach dem anderen in seine Kabine geführt, um die Kabinen auszurauben. Ihnen wurde mit Erschießung gedroht, aber Gott sei dank blieb es bei dem Raub.

Dennoch waren deren Geschichten darüber, wie sechs Wochen mit zur Neige gehenden Vorräten im Bauch ihres Schiffes überlebt haben, während draußen ununterbrochen Explosionen zu hören waren, sehr dramatisch. Ich hatte später noch Gelegenheit, mit einigen der Seeleute bei einer Zigarette vor dem Hotel zu reden.

Dabei erzählten sie mir, dass die Russen, als sie den Hafen endlich erobert hatten und auf ihr Schiff kamen, sehr freundlich waren und ihnen sofort Telefone gaben, damit sie zu Hause anrufen und ihren Angehörigen mitteilen konnten, dass sie noch am Leben waren. Sie waren nämlich die ganzen sechs Wochen von der Außenwelt abgeschnitten, weil die Asow-Kämpfer das Funkgerät zerstört und das Satellitentelefon geklaut hatten. Und Mobilfunk funktioniert in Mariupol schon lange nicht mehr.

Insgesamt habe ich an diesem Tag aber zum ersten Mal bei meinen Reisen in der Konfliktgebiet am Ende gute Laune gehabt, weil der bleibende Eindruck des Tages der unglaubliche Optimismus in Wolnowacha gewesen ist.

Wenn ich dazu komme, werde ich morgen den zweiten Tag dieser Reise berichten.

Quelle: Anti-Spiegel.ru

Bilder: Anti-Spiegel.ru

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