Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang sieht das Staatswohl durch Äußerungen „ohne strafrechtliche Relevanz“ gefährdet.
Innenministerin Nancy Faeser droht: „Diejenigen, die den Staat verhöhnen, müssen es mit einem starken Staat zu tun bekommen“.
Familienministerin Lisa Paus möchte die Meinungsfreiheit begrenzen, wo „Hass im Netz“ unter die Strafbarkeitsgrenze fällt.
NIUS legte drei renommierten Verfassungsrechtlern die am Dienstag getätigten Äußerungen vor und bat sie um eine juristische Einschätzung.Die Staatsrechtler sind sich in vielen Dingen einig: Sie äußern größte Bedenken über die Verlautbarungen und Ankündigungen der Regierung.
Etwa zu der Aussage von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD), sie wolle „bei Rechtsextremisten jeden Stein umdrehen“. Und weiter: „Diejenigen, die den Staat verhöhnen, müssen es mit einem starken Staat zu tun bekommen.“„Undemokratisches Denken“, nennt das Volker Boehme-Neßler, Professor für Öffentliches Recht an der Carl-von-Ossietzky-Universität Oldenburg. Faeser würde die Verfassungslage „völlig verkennen“ und Bürgern drohen, „die ihre verfassungsmäßigen Rechte wahrnehmen wollen. Das ist erschreckend, auch, weil sie als Innenministerin eigentlich die Verfassung schützen soll“.
Josef Franz Lindner hat einen Lehrstuhl für Öffentliches Recht an der Uni Augsburg. Gegenüber NIUS gibt auch er zu bedenken: „Bei aller Berechtigung der Bekämpfung des Extremismus muss doch bei allen Aktionen und Maßnahmen das Grundrecht der Meinungsfreiheit beachtet werden.“
Dietrich Murswiek, emeritierter Professor für Staats- und Verwaltungsrecht an der Universität Freiburg, verweist auf das am Dienstag präsentierte Maßnahmenpaket, in dem Faeser ihre Vorstellungen konkretisierte: Dort hieße es, auf der Grundlage von Informationen des Verfassungsschutzes könnten die Polizei- und Ordnungsbehörden „zum Beispiel rechtsextremistische Veranstaltungen“ untersagen. „Das ist zumindest missverständlich“, meint Murswiek. „Eine Veranstaltung kann nicht untersagt werden, weil sie als rechtsextrem bewertet wird, sondern nur dann, wenn die Gefahr besteht, dass dort Straftaten begangen werden.“
Es sei auch nicht zulässig, Meinungsäußerungen oder Veranstaltungen, die nicht gesetzlich verboten sind, mit anderen Mitteln als durch behördliche Verbote zu verhindern. „Das Vorhaben, dem Verfassungsschutz gesetzlich die Befugnis zu geben, beispielsweise Gastwirte darüber zu informieren, dass der Veranstalter einer in der Gaststätte geplanten Versammlung als Extremist bewertet wird und damit – ausdrücklich oder implizit – die Aufforderung zu verbinden, den Mietvertrag zu stornieren, ist gerade, weil offensichtlich verfassungswidrig, gescheitert.“ Zum Thema Ein- und Ausreiseverbote für Rechtsextremisten erklärt der 75-Jährige: „Nach deutschem Recht ist es grundsätzlich zulässig, ausländischen Extremisten die Einreise zu verweigern, auch wenn nicht zu erwarten ist, dass sie hier Straftaten begehen. Wenn es sich jedoch um eine Person mit Staatsangehörigkeit eines anderen EU-Staates handelt, dürfte die für Unionsbürger garantierte Freizügigkeit einem Einreiseverbot entgegenstehen.“„Staatswohlgefährdung“ als Maßstab?
Doch Faeser sorgte nicht allein mit kritikwürdigen Aussagen für Aufsehen. Auch Thomas Haldenwang (CDU), der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, äußerte sich: „Ja, es ist richtig, das hat keine strafrechtliche Relevanz und es ist trotzdem staatswohlgefährdend und es greift unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung an, indem eben die Würde der Menschen mit Füßen getreten wird“, antwortete er auf die Frage eines Journalisten. Eine solche Aussage nennt Prof. Lindner „grundrechtswidrig“. Man könne nicht unter Berufung auf einen unbestimmten Begriff wie „Staatswohlgefährdung“ bestimmte Meinungen einfach untersagen, so der Staatsrechtler. Und weiter: „Insbesondere das Bundesamt für Verfassungsschutz hat nicht die Aufgabe einer allgemeinen Meinungs- oder Sprachpolizei. Es darf aus politischer Sicht unerwünschte Meinungsäußerungen von Bürgerinnen und Bürgern nicht einfach sammeln und speichern.“ Staatsrechtler Dietrich Murswiek sagt zu NIUS: „Nicht strafbare, aber extremistische Meinungsäußerungen dürfen von den Behörden nicht verboten werden.“ Der Verfassungsschutz dürfe jedoch „verfassungsfeindliche Bestrebungen auch dann beobachten und vor ihnen warnen, wenn die Verfassungsfeindlichkeit sich nicht in Straftaten, sondern in legalen Verhaltensweisen äußert“, so Murswiek weiter.
Verfassungsrechtler Boehme-Neßler erklärt: „Haldenwang verkennt das Wesen der Verfassung und die Bedeutung der Meinungsfreiheit im Grundgesetz. Die Verfassung ist freiheitlich: Alles, was nicht verboten ist, ist erlaubt. Dementsprechend erlaubt die Meinungsfreiheit auch, verfassungswidrige, sogar verfassungsfeindliche Meinungen zu vertreten und zu diskutieren. Die einzige echte Grenze ist das Strafrecht. Wenn Meinungen etwa Volksverhetzung sind oder den Holocaust leugnen, sind sie verboten. Alle Meinungen, die nicht strafrechtlich relevant sind, sind erlaubt. Ob sie staatswohlgefährdend sind, ist irrelevant. Eine freiheitliche Demokratie muss auch solche Meinungen aushalten – und das tut sie auch.“
Paus will Strafverfolgung unterhalb der Strafbarkeit
Neben Verfassungsschutz-Chef Haldenwang will offenbar auch Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) an der Strafbarkeitsschwelle rütteln, etwa bei Internet-Postings: „Wir wollen dem Umstand Rechnung tragen, dass Hass im Netz auch unter der Strafbarkeitsgrenze vorkommt. Viele Feinde der Demokratie wissen ganz genau, was auf den Social-Media-Plattformen gerade noch so unter Meinungsfreiheit fällt. Wir als Bundesregierung werden da, wo nötig, Gesetze überprüfen und bei Bedarf auch nachjustieren“, sagte sie bei der Vorstellung einer Studie über „Hass im Netz“.
Prof. Josef Franz Lindner ist da sehr klar und verweist auf das Grundrecht der Meinungsfreiheit: „Unterhalb der Strafbarkeitsgrenze geäußerte Meinungen genießen Grundrechtsschutz. Auch staats- und regierungskritische oder von der Politik unerwünschte Meinungen sind vom Grundrecht der Meinungsfreiheit geschützt – und zwar auch dann, wenn sie dem jeweiligen gesellschaftlichen Zeitgeist widersprechen.“
Murswiek vermutet in den Worten Paus’ einen Plan, die Strafbarkeit von Äußerungen möglicherweise auszuweiten: „Das Zitat von Frau Paus ist wohl so zu verstehen, dass sie nicht mit Verboten oder Löschungen gegen nicht strafbaren ‚Hass im Netz‘ vorgehen will, sondern dass sie die Strafbarkeit von Meinungsäußerungen auf bisher nicht strafbare Äußerungen ausweiten will. Solche Gesetzesänderungen sind nicht prinzipiell ausgeschlossen, werden aber schnell an die Grenze des Grundrechts auf Meinungsfreiheit stoßen. Sie müssen zudem inhaltlich hinreichend bestimmt sein.“ Ein Straftatbestand „Hass oder Hetze“ sei viel zu unbestimmt. „Und sie müssen meinungsneutral sein. Straftatbestände, die sich nur gegen ‚rechte‘ Meinungen richten, wären verfassungswidrig.“
Verfassungsrechtler Boehme-Neßler wirft Paus vor, die überragende Bedeutung der Meinungsfreiheit für eine lebendige Demokratie zu verkennen. Boehme-Neßler zu NIUS: „Ohne weitreichende Meinungsfreiheit gibt es keine lebendige Demokratie. Das sieht auch die Verfassung so. Erst wenn Meinungen Straftaten sind, sind sie verboten. Das ist allerdings nur ganz selten. Frau Paus droht deshalb damit, die Strafbarkeitsgrenze zu senken. Das ist verfassungsrechtlich kaum möglich und demokratiepolitisch völlig falsch. Ja, es stimmt: Das Netz ist voll mit üblem Hass und schlimmer Hetze: Deshalb die Meinungsfreiheit einzuschränken, ist verfassungswidrig und beschädigt die Demokratie.“
Text: Nius.de
Bild: Radio Qfm