Die Hygiene als soziales Problem (III)
Im Namen der Hygiene ist der Staat dazu übergegangen, das gesamte soziale Leben auf autoritäre und brutale Weise zu reglementieren, zu kontrollieren und zu ruinieren.
Kann es da noch mit rechten Dingen zugehen?
Und was wären denn die rechten Dinge im sozialen Leben? Diesen Fragen gehe ich in einer Reihe von 6 Beiträgen nach.
In den ersten zwei Beiträgen haben wir gesehen, dass bestimmte Probleme der Hygiene keine reine Privatangelegenheit sind und durchaus der sozialen Regelung bedürfen. Dass soziale Regelungen aber nur dann zum Wohl der Menschen ausschlagen, wenn sie auf demokratischem Wege zustande kommen.
Dass die demokratischen Abläufe leider durch den allwaltenden Autoritätsglauben auf fatale Weise untergraben werden und dass dieser Autoritätsglaube so blind und so mächtig geworden ist, weil wir dasjenige verlernt haben, was uns mit der Realität verbindet: weil wir das Staunen verlernt haben, das uns unterbewusst mit der Ganzheit einer Sache verbindet. Unsere Intelligenz erfasst ja immer nur die Teile einer Sache.
Wenn wir aber, bevor wir den Verstand auf eine Sache anwenden, die Sache bestaunen, dann bildet sich in uns ein Gemütsboden, und in den pflanzen wir dann das Verständnis ein. Und die Folge davon ist, dass wir im Ganzen dann auf einer viel breiteren Basis des Verständnisses arbeiten. Weil diese Basis fehlt, werden einerseits die Zukunfts-Visionen, die die Autoritäten ausbrüten für das soziale Leben, immer abwegiger und menschenfeindlicher – und es wird andererseits der allgemeine Glaube an diese Zwangsvorstellungen immer absoluter.
Durch das bewusst gepflegte Staunen entwickeln wir ein sicheres Gefühl für die Geistigkeit der Dinge.
Und dieses Gefühl weckt das echte Bedürfnis nach Erkenntnis. Dieses ist das erste der drei sozialen Grundbedürfnisse: das Bedürfnis nach Wissen und Wissenschaft, nach Information, Bildung, Kunst, Religion usw. Das zweite soziale Grundbedürfnis ist das nach innerer und äußerer Sicherheit und insbesondere nach Schutz der individuellen Selbstbestimmung. Und das dritte ist das nach einer wirtschaftlichen Lebensgrundlage.
Das Bedürfnis nach Wissenschaft, Bildung, Kunst und Religion kann nur befriedigt werden durch ein Geistesleben, das sich absolut frei entfalten kann – äußerlich frei von staatlicher und wirtschaftlicher Einflussnahme, und innerlich frei, wofür jeder Mensch selbst zu sorgen hat.
Das Bedürfnis nach Sicherheit und individueller Selbstbestimmung wird garantiert durch Grundrechte und durch Gesetze, die auf demokratischem Wege zustande kommen und für jeden Bürger gleichermaßen gelten. Und das Bedürfnis nach einer wirtschaftlichen Lebensgrundlage wird befriedigt durch ein Zusammenwirken von Produzenten, Verbrauchern und Händlern auf der Basis der Brüderlichkeit – also des Altruismus und nicht des Egoismus.
Hier klingen die drei Prinzipien der Französischen Revolution an:
Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit: Freiheit im Geistesleben, in allen Wissenschaften einschließlich der Rechtswissenschaft, Gleichheit im staatlichen, im Rechtsleben und Brüderlichkeit im Wirtschaftsleben.
Das ist die wichtige Beobachtung Rudolf Steiners, dass der soziale Organismus nur dann gesund funktionieren kann, wenn wir uns in jedem der drei Bereiche, im Geistesleben, im Rechtsleben und im Wirtschaftsleben, stets orientieren an dem jeweils sachgemäßen Prinzip – und dass der soziale Organismus krank werden muss, wenn die drei Bereiche daran gehindert werden, sich ihrem Wesen gemäß zu entfalten.
Von hier aus fällt ein klärendes Licht auf Artikel 1 unseres Grundgesetzes.
Er lautet: „Die Würde des Menschen…zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ …zu achten und zu schützen… heißt es da, und wir können fragen: Was genau hat die Staatsgewalt zu schützen, und was hat sie zu achten?
Die Schutz-Pflicht des Staates gilt dem 2. Grundbedürfnis, dem Bedürfnis nach individueller Selbstbestimmung, nach demokratischer Regelung der inneren und äußeren Sicherheit und nach einer unabhängigen Justiz, die die Bürger vor Missetätern ebenso schützt wie vor staatlicher Willkür.
Dagegen bezieht sich die Achtungs-Pflicht des Staates auf die beiden andern Grundbedürfnisse.
Rücksichtsvoll hat sich die Staatsgewalt herauszuhalten aus der Gestaltung des Wirtschaftlichen und aus der Gestaltung des geistigen Lebens! Sie hat zu achten, dass das Geistesleben und das Wirtschaftsleben sich nach ihren eigenen Prinzipien entfalten müssen, dass sie ihre jeweils eigenen Verwaltungsorgane haben müssen, die nach eigenen Erfordernissen gewählt und geleitet werden.
Lichtjahre sind wir von dieser gesunden sozialen Ordnung entfernt: weil kein demokratischer Wille vorhanden ist, den Staat auf seine Schutzfunktionen zu beschränken und seine ungesunde Einflussnahme auf das Geistes- und Wirtschaftsleben zu unterbinden.
Soweit dieser dritte von 6 Beiträgen zum Thema “Die Hygiene als soziales Problem”.
Im Lichte dieses Themas soll im nächsten Beitrag gezeigt werden, welch verheerende Folgen es für das soziale Leben hat, wenn sich die Staatsgewalt nicht auf ihre Schutzfunktion beschränkt und diese Schutzfunktion noch dazu in ihr Gegenteil verkehrt und die Bürger entmündigt und der Willkür ausliefert.
Zum Schluss lese ich wieder den Denkspruch Rudolf Steiners, den ich zum geistigen Begleiter dieser Betrachtungen ausgewählt habe:
Die Welt ist ohne den Geist
Für den Menschen wie ein Buch,
Abgefasst in einer Sprache,
Die er nicht lesen kann,
Doch von dem er weiß
Dass sein Inhalt lebenbestimmend ist.
Und Geisteswissenschaft will erstreben
Die Kunst des Lesens;
Sie hält sich für notwendig,
Weil sie glauben muss,
Dass sie von dem Leben
Selbst gefordert wird,
In das die Menschheit
Durch die Entwickelungskräfte
Der Gegenwart
Eingetreten ist.
Es grüßt Thomas Külken.
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