“Sich in einem Lügennetz verstricken”
ist eine deutsche Redewendung, die impliziert, daß einer Lüge notwendigerweise eine größere folgen muß und der wiederum eine noch größere – und daß das so weiter geht, bis nur noch völlig inkonsistentes Zeug dahergelabert wird, das über einen gewissen Zeitraum in sich widersprüchlich werden musste.
Es ist mehr als offensichtlich, daß die Wahrheit für die Mächtigen zu einer Bedrohung geworden ist und daß sie sich deshalb eine mentale Ritterrüstung angezogen haben, um von den Fakten nicht länger mehr belästigt zu werden.
von Max Erdinger
“Die Regeln sind ganz einfach:
Sie belügen uns, wir wissen, dass sie lügen, sie wissen, dass wir wissen, dass sie lügen, aber trotzdem lügen sie weiter, und wir tun weiter so, als würden wir ihnen glauben.”
Dieses Zitat wird dem sowjetischen Literaturnobelpreisträger Alexander Solschenizyn (1918-2008) zugeschrieben, auch wenn es dem autobiographischen Roman “Goodbye, Leningrad” von Elena Gorokhova entstammen könnte.
Aber egal:
Das Zitat spricht auf jeden Fall für sich. Über den ersten Teil braucht man nicht länger mehr nachzudenken, weil eh klar ist, weshalb ein Lügner lügt, aber zweite Teil ist interessant:
” … und wir tun weiter so, als würden wir ihnen glauben.”
Höchstwahrscheinlich ist es so, daß “wir” gar nicht aus freien Stücken so tun, als würden “wir” ihnen glauben. Das “wir” setze ich in Anführungszeichen, weil ich nicht so tue. Ich glaube denen nichts mehr.
Das halte ich deswegen so, weil ich inzwischen davon überzeugt bin, daß ein pauschales “die lügen, wenn sie das Maul aufmachen” im allgemeinen näher an der Wahrheit ist, als ein “manche von denen lügen bisweilen”.
Es lügen die Mächtigen im Auftrag der ungewählten Großmächtigen.
Die “dürfen” das, weil sie sich das insofern erlauben können, als daß sie über die Machtmittel verfügen, Widerspruch zu ersticken. Ob Kaiser, Führer oder Bundespräsident:
Die Staatspyramide ist hierarchisch aufgebaut – und die Unterstellung, der Bürger sei tatsächlich der Souverän, ist nichts weiter als ein Narkosemittel. Für den Machterhalt in der Lüge ist nicht wichtig, was der Bürger ist, sondern wofür er sich hält. Solange er sich für den Souverän hält, ohne es realiter zu sein, ist für die Mächtigen alles in Butter. Weil der Souverän dann nämlich auch glaubt, daß er mit demokratischen Mitteln etwas ändern kann.
Und während er das glaubt, vergeht die Zeit. Bis er um die Feststellung nicht mehr herumkommt, daß er sich vorher getäuscht hatte, was seine Funktion im Staate angeht, steht der ernüchterte Souverän dann vor vollendeten Tatsachen. Klar: In der verstrichenen Zeit blieben die Mächtigen nicht untätig.
Das Kalkül der Macht
Protestiere ich? Lehne ich mich auf? Sage ich allen anderen, was ich als die Wahrheit identifiziert habe? Was kostet mich das? Kann ich mir das leisten? Das sind so die Fragen, die sich der unzufriedene “Souverän” stellt, wohlwissend, daß es für die Macht nichts leichteres gibt, als die Daumenschrauben je nach Bedarf anzuziehen oder zu lockern. Die Mächtigen wiederum wissen, daß jeder Dissident sich reiflich überlegt, ob er offensiv werden soll oder ob er sich in die innere Emigration zurückzieht. Die Macht zeigt ihre Folterinstrumente, ehe sie die zur Anwendung bringt. Sie kann auch nicht mehr anders. Weil sie nicht mehr umkehren kann. Eine Umkehr käme dem Eingeständnis des vorherigen Versagens gleich und müsste schwerwiegende Konsequenzen haben, vor allem dann, wenn feststünde, daß dieses Versagen lange vorher hätte erkannt und dann auch korrigiert werden können. Da ginge es gar nicht mehr nur um das Versagen als solches, sondern um fortgesetzte Destruktivität wider besseres Wissen. Da wäre man von der Unfähigkeit ganz schnell bei der Kriminalität.
Julian Assange
In den vergangenen beiden Tagen fand in London eine Gerichtsverhandlung zu der Frage statt, ob der WikiLeaks-Gründer Julian Assange, ein Australier, an die USA ausgeliefert werden soll oder nicht. Sein “Verbrechen”: Journalismus. Assange hatte dem Souverän durch seine Veröffentlichungen die Informationen gegeben, die ihm von seinen “Stellvertretern” hätten vorenthalten werden sollen. Geheimdienstliche Geheimnisse soll er ausgeplaudert haben, der couragierte Julian Assange. Beschafft hatte sie ein IT-Experte der US-Streitkräfte namens Bradley Manning, der seit seiner Geschlechtsumwandlung Chelsea Manning heißt und von Ex-Präsident Obama begnadigt worden ist, nachdem er oder sie fünf Jahre abgesessen hatte. Durch die Veröffentlichung der von Manning an WikiLeaks durchgestochenen Dokumente müsste Julian Assange der vielbeschworenen Westwert-Demokratie eigentlich einen Dienst erwiesen haben. Warum bekommt er dann nicht das Demokraten-Verdienstkreuz am Souveränsbande, sondern wird in den USA für den Fall, daß er dorthin ausgeliefert werden sollte, mit 175 Jahren Haft bedroht?
Klar:
Weil wir nicht mehr in den Sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts leben, sondern in den Zwanzigern des 21. Jahrhunderts. Dazwischen liegt ein Zeitraum von sechzig Jahren – und über einen solchen Zeitraum läßt sich peu a peu ein riesiges Lügennetz spinnen. Wenn es das zerreißt, dann geht für die Mächtigen sehr viel mehr den Bach runter als bei einem kleinen Netz. Fest steht, daß Daniel Ellsberg (1931-2023) durch seine Veröffentlichung der geheimen Pentagon-Papiere anno 1971 die jahrelange Täuschung der US-amerikanischen Öffentlichkeit über wesentliche Aspekte des Vietnamkriegs aufgedeckt hatte und nachweisen konnte, daß die wirklichen Kriegsziele von mehreren US-Regierungen gezielt falsch dargestellt worden waren. Für den damaligen Präsidenten Lyndon B. Johnson war Ellsberg “a pain in the arse”. Die Veröffentlichung der Dokumente durch die “New York Times” war von der Regierung deshalb auch verboten worden. Der Oberste Gerichtshof der damaligen USA machte das Spielchen aber nicht mit und erließ ein Grundsatzurteil, in dem die Veröffentlichung erlaubt – und somit die Pressefreiheit gestärkt wurde. Als nächstes wurde Ellsberg dann wegen Spionage angeklagt, es drohten ihm 115 Jahre Haft (“everything is bigger and better in America”), aber auch dieser Prozess war ein Schuß in den Ofen. Geheimdienstmitarbeiter waren im Auftrag der Nixonregierung in die Praxis von Ellsbergs Psychiater eingebrochen und genehmigten sich eine illegale Überwachung Ellsbergs. Damit war der Käse dann gegessen. Ellsberg blieb auf freiem Fuß, der Spionageprozess platzte.
Julian Assange wird im Jahr 2024 “Verrat” vorgeworfen. “Verrat” jedoch ist etwas, das nur von den eigenen Leuten verbrochen werden kann. Der Australier Assange war in seinem ganzen Leben nur drei Tage jemals in Amerika. Dem demokratischen Medienkonsumenten im “Wertewesten” wird heute jedoch zugemutet, daß er glauben soll, ein Nichtamerikaner könne amerikanische Geheimdienst-Geheimnisse verraten. Das heißt so viel, wie, daß der “wertewestliche” Demokrat von der Polit- und Medienmacht im Jahre 2024 folgendermaßen eingeschätzt wird: Der Depp kann doch Verrat und investigativen Journalismus nicht mehr auseinanderhalten? Unter solchen Voraussetzungen kann man dem “wertewestlichen Souverän” freilich einen Julian Assange als “Folterwerkzeug” zeigen, ganz nach dem Motto: Bestrafe Einen und erziehe dadurch Hunderte. In der Sowjetunion hätten sie das kein Stück anders gemacht.
Es ist schier unglaublich, daß sich amerikanische Geheimdienstler und private “ThinkTankler”, hier die von STRATFOR, einbilden, sie dürften erst die Justiz des eigenen Landes infiltrieren und indoktrinieren, damit die dann die Auslieferung eines Ausländers aus einem solchen Ausland verlangt, das noch nicht einmal dessen Heimatland ist.
Noch unglaublicher ist, daß sich die australische Regierung nicht auf die Hinterfüße stellt, um nicht zum Verräter an ihrem eigenen Landsmann zu werden. Aber woher kennt man das schon?
Die konsularische Betreuung des US-Bürgers Gonzalo Lira in der Ukraine war von einer solchen Entschiedenheit, daß der Selenskyjkritiker Lira am 12. Januar in ukrainischer Haft – offiziell – an einer unbehandelten Lungenentzündung elendig verreckte, obwohl ein einziger Anruf aus dem US-State-Department bei Selenskyj gereicht hätte, um ihn in ein Land seiner Wahl ausreisen zu lassen.
Liras Verbrechen:
Journalismus. Bei den “Westwertmedien” interessierte das Schicksal von Gonzalo Lira keine Sau. Aber der …
Diese Woche starb der russische CIA-Geschulte und MI6-Ressourcenempfänger Alexei Nawalny in russischer Haft.
Von russischer Seite hieß es, ein Blutklumpen habe Nawalnys Leben ein Ende bereitet.
Woran erinnert und das wohl? ( plötzlich und unerwartet….) ob Nawalny wohl geimpft war?
Was für ein Gezeter in den “Westwert”-Medien. Der arme, arme Nawalny. Sooo ein tapferer Held gegen den bösen Wladimir Putin. Dabei hatten gerade die Deutschen ganz besonderes Glück, daß der liebe Alexei in Russland zugange gewesen ist. Im eigenen Land hätten sie ihn glatt von der Haldenwangbehörde überwachen lassen müssen, so ein xenophober Rassistenlump wäre er in Deutschland gewesen.
Aber weil er den Putin nicht mochte, gab es natürlich eine übergeordnete Gemeinsamkeit, die zur tränenreichen Solidarität mit dem russischen Verräter zwang. So ein wandernder Blutklumpen taugt da keinen Schuß Pulver.
Vergiftet worden muß er sein, der liebe Nawalny, oder sonst irgendwie gemeuchelt.
Am besten vom russischen Geheimdienst und am allerbesten auch noch auf direkten Befehl von Putin höchstpersönlich. Und das, obwohl Nawalny für Putin beileibe nicht die Bedrohung gewesen ist, zu der er im “Wertewesten” großgeredet wurde. Der nützliche Nawalny war im “Wertewesten” eine innenpolitische Größe Russlands – und innerhalb Russlands hat ihn außerhalb Moskaus kaum jemand gekannt. “Hinter” dem Ural wahrscheinlich gar niemand mehr. Seine Moskauer Prominenz stützte sich auf eine Bürgermeisterwahl zu der Zeit, als Dimitri Medvedev und Wladimir Putin nach der zweiten Amtszeit Putins Ämtertausch betrieben.
Nawalny erreichte tatsächlich 27 Prozent in Moskau.
Danach verschwand er dann für ein ganzes Jahr nach Yale in die USA, wo er seine CIA-Schulung erhielt, und nur, um ihn hernach wieder in Russland einzupflanzen, auf daß er dort sein aussichtsloses Gestänker gegen den russischen Patrioten Putin zum Wohlgefallen der Amerikaner fortsetze.
Jetzt ist er tot. Wie so viele Sportler, die sich haben impfen lassen.
Der Tod per Blutklumpen soll ihn unmittelbar nach einem Spaziergang ereilt haben. Der in Russland wesentlich populärere Prigoschin, seines Zeichens Chef der Wagner-Söldner und gemeiner Putschist, ist mit dem Flugzeug abgestürzt und Nawalny verstarb an einem Blutklumpen.
Shit happens. Jetzt hat der “Wertewesten” aktuell niemanden mehr, in den er Hoffnungen darein setzen könnte, daß er dem Putin, diesem finstersten aller Gottseibeiunse, den Garaus macht.
Wos a Tragödie.
Merke: Wenn in Russland einer das Leben verliert, der den Putin nicht mochte – und den der Putin nicht mochte, dann ist der nicht einfach gestorben, sondern er wurde umgebracht. Warum? Weil das ein nützliches Narrativ ist. Natürlich könnte er auch umgebracht worden sein. Weiß man’s? – Nein. Also wird man wohl beim Konjunktiv bleiben müssen, wenn man nicht lügen will.
Fest steht jedenfalls:
Ein Gonzalo Lira und ein Julian Assange ergeben noch lange keinen Alexei Nawalny. Weil das Geschiß um den Nawalny für die Macht allerweil viel nützlicher ist als jedes andere. Illustriert es doch so passend die “Notwendigkeit”, jene tapferen Verteidiger von “Demokratie, Freiheit und westlichen Werten” in der Ukraine auch weiterhin mit Millarden aus Steuergeldern zu “unterstützen”, die vor acht Jahren selbst von Georg Restle im ARD-Tagesthemen-Kommentar noch als menschenverachtende Subjekte charakterisiert wurden.
Das allerdümmste Narrativ
“Sagen Sie mir mal die Wahrheit jetzt.” – “Och nö.” – “Warum wollen Sie mir denn die Wahrheit nicht sagen?” – “Weil es keine gibt. Ehrlich! Narrative gibt es!” – “Ehrlich? Kommt ‘ehrlich” von Ehre und Wahrheitsliebe oder kommt es von ‘Narrativ’?” – “Hä?” – “Schon gut, dann verklickern Sie mir eben ein Narrativ, das Ihnen gefällt.
Ob es stimmt, beurteile ich dann selber, wenn ich das kann. Könnte ja sein, daß ich es nicht kann. Geht’s schon los?” – “Die Israelis verteidigen nur das Existenzrecht ihres Landes und ohne den 7. Oktober wäre gar nichts passiert” – “Au weia. Sie sind wohl nicht der Hellste, oder?” – “Ach ja, zum Narrativeerzählen reicht’s. Ich bin zufrieden.” – und Tusch!
Ein Narrativ ersetzt keine Fakten.
Aber wer sich nicht auskennt oder sich auch die Mühe nicht machen will, die Fakten kennenzulernen, der tut sich mit einem Narrativ naturgemäß leichter. Weil das eventuell gut zu seiner Meinung paßt, die er sich schließlich auch nicht erst bilden muß, sondern je nach seinen persönlichen Vorlieben sofort haben – und auch äußern darf. Wenn es “die richtige” ist, soll er sogar. Was gäbe es schließlich wichtigeres, als die Meinung des “Souveräns”, wenn sie ihm gefallen darf, weil er denkt, daß die ihn in seiner ganz unzweifelhaften, hochdemokratischen Honorigkeit schmückt? – Na eben. Im Augenblick gilt: Ein Völkermord ist keiner, wenn dem Souverän nicht gefällt, daß er einer ist. Kriegsverbrechen sind auch erst dann welche, wenn er sie für welche halten will. Vorher nicht.
Davon hängt es ab.
Und genau deswegen muß sich der “wertewestliche Souverän” auch permanent anlügen lassen. Seine Einbildung, seine Eitelkeit und seine Präferenzen verhelfen der Macht zum Sieg über ihn. Da will ich gar kein Gemecker mehr hören. Jeder “Souverän” bekommt die Regierung, die er verdient. Und er bekommt auch jede Meinung gemacht, die zu ihm paßt. Die ist dann “gleichberechtigt” mit allen anderen, weil das ein Ausweis von “demokratischer Toleranz” ist.
Oder anders:
Jede Gesellschaft führt die Diskurse, zu denen sie noch imstande ist. Wie kommentiert das die Macht?
So: Schachmatt, Souverän!
Quelle: Journalistenwatch
Bilder: Eduard von Schnitzler der Schwarze Kanal – Bildcollage (BPD.de)
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