In einem Schreiben an Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) haben acht Bürgermeister aus Sachsen massive Kritik an der harten Corona-Politik geübt.
Insbesondere stellen sie den Umgang mit der Inzidenzzahl sowie deren Aussagekraft in Frage: „Das Abstellen allein auf Inzidenzwerte ist aus unserer Sicht kein geeignetes Kriterium für die weiteren Schritte“, heißt es in ihrem offenen Brief. Vielmehr seien „die ermittelten Werte in ein belastbares Verhältnis zur Zahl der durchgeführten Tests, zur Gesamtzahl der bereits registrierten Erkrankungen, zur Zahl der durchgeführten Impfungen und vor allem aber zur Entwicklung der Situation in den Krankenhäusern zu setzen.
“Erfreulicherweise werde „diese – an den realen Verhältnissen vor Ort ausgerichtete – Betrachtungsweise zwischenzeitlich auch immer mehr im öffentlichen Diskurs vertreten.“ Die Bürgermeister übernehmen damit jene Kritik, die für viele immer noch als „Corona-Ketzerei“ gilt.
In kleineren Gemeinden sei schon durch einen einzigen neuen positiven Test eine Wocheninzidenz von mehr als 100 erreicht, warnen die Lokalpolitiker: „Verfolgt man die Entwicklung der letzten Wochen, drängt sich der Eindruck auf, die Inzidenz müsse um ihrer selbst willen geschützt werden.
“Sie hätten den Eindruck, dass „immer weniger Menschen die getroffenen Regelungen nachvollziehen können und mittragen möchten“, heißt es in dem Schreiben der acht Bürgermeister weiter. Kretschmer hatte sich zuvor dafür ausgesprochen, die so genannten Lockerungen zurückzufahren und die bisherigen strengen Lockdownmaßnahmen wieder einzuführen. Die Lockerungen seien ein gescheitertes Experiment, so Kretschmer. Die Bürgermeister sehen das anders.
Es gebe „immer mehr Regelungen, welche den Eindruck von Aktionismus hinterlassen“, heißt es in ihrem Schreiben. Sie warnen, dass die Politik damit die Unterstützung der Menschen verliere, die sie aber brauche.
„Die Lage in den Krankenhäusern“ sei „auch weiter auf niedrigem Niveau stabil“, so die Lokalpolitiker. Und das trotz Inzidenzahlen, die offiziell als kritisch betrachtet werden (um die 100). „Wenn die neue erweiterte Teststrategie dazu führen wird, noch mehr symptomlose und milde Infektionen bekannt zu machen, und diese neuen Ergebnisse „undifferenziert mit den bisherigen Inzidenzen verglichen werden, ergibt sich ein völlig verzerrtes Bild …“, heißt es in dem Brief:
„Dies gilt umso mehr, wenn an diese auf diese Weise ermittelten Inzidenzwerte konkrete Schritte der Öffnung oder Schließung von Geschäften, Schulen etc. geknüpft werden. Dann wird ein Szenario greifbar, bei dem die genannten Einrichtungen schließen müssen oder gar nicht erst geöffnet werden, da die Inzidenzwerte steigen, aber tatsächlich überhaupt keine (zusätzliche) Gefährdung des Gesundheitswesens eintritt.“
Auf das Kopfschütteln der Bürgermeister trifft auch, dass die Sächsische Landesregierung unter Kretschmer diverse Angebote von Städten und Gemeinden zur schnelleren Impfung ignoriert habe: „Es ist unseren Einwohnern nicht mehr vermittelbar, wenn der äußerst wichtige Weg der Bereitstellung von Impfmöglichkeiten seit Wochen zu unstrukturiert und mit vielen Unzulänglichkeiten belastet begangen wird, während andererseits weitere Einschränkungen bestehen bleiben oder neu verfügt werden sollen.“
Der Brief hat eine erhebliche Signalwirkung und Aussagekraft. Bürgermeister haben traditionell eine engere Verbindung zu den Bürgern und nehmen Stimmungswandel deshalb oft schneller wahr als Politiker auf Landes- und vor allem auf Bundesebene. Insofern kann man das Schreiben der Lokalpolitiker durchaus als ein gewisses Stimmungsbild auffassen, das Hinweis auf einen Stimmungswandel an der Basis gibt.
Offener Brief der Bürgermeister des Erzgebirges
Sehr geehrter Herr Ministerpräsident Kretschmer,
wir nehmen Bezug auf die gemeinsame Korrespondenz, welche wir Ende Januar 2021 geführt haben. In unserem Schreiben vom 20.01.2021, welches vor mehr ais 7 Wochen entstanden ist, hatten die Bürgermeisterinnen und Oberbürgermeister des Erzgebirges bereits sehr viele Punkte angesprochen. Zu diesen hat es inzwischen einerseits positive Veränderungen gegeben, andererseits bedarf es aber auch dringend noch einiger Verbesserungen.
Auf der Grundlage des geführten Schriftverkehrs haben wir für Mittwoch, den 17. März 2021 eine gemeinsame Videokonferenz vereinbart. In dieser sollen die momentan wichtigsten Themen besprochen werden. Vielen Dank für Ihre Bereitschaft zum direkten Austausch mit den kommunalen Vertretern.
Wir haben uns unter Berücksichtigung der aktuellen persönlichen Wahrnehmungen in unseren Städten und Gemeinden, auch unter dem Eindruck der seit Montag vergangener Woche geltenden neuen Corona-Schutz-Verordnung dazu entschlossen, uns im Vorfeld des vereinbarten Termins noch einmal an Sie zu wenden. Wir möchten das aktuelle Stimmungsbild nachzeichnen, die vor
Die Bürgermeister des Erzgebirges c/o Stadt Lößnitz Marktplatz 1 08294 Lößnitz
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Ort bestehenden Herausforderungen etwas praktischer veranschaulichen und ebenso Lösungsansätze übermitteln.
Dabei wählen wir dieses Mal den Weg eines offenen Briefes, damit zum einen die Menschen in unseren Städten und Gemeinden gut nachvollziehen können, in welchem Korridor des Ausgleichs der verschiedenen Interessen sich die Handelnden bewegen und welche Herausforderungen bestehen, zum anderen soll das vorliegende Dokument auch verdeutlichen, dass jeder Bürger in unseren Kommunen selbst ein Teil der Lösung der gegenwärtigen Situation sein kann.
Bitte verstehen Sie die nachfolgenden Zeilen als ein Angebot für einen konstruktiven Austausch, um im Interesse unserer Einwohner optimale, zumindest sehr gute Lösungen zu finden.
Schon in unserem Schreiben vom 20. Januar 2021 hatten wir unsere Wahrnehmung dahingehend geschildert, dass nach unserem Eindruck immer weniger Menschen die getroffenen Regelungen nachvollziehen können und mittragen möchten. Der Sinn einiger Maßnahmen erschließt sich für viele nicht mehr. Neben Schritte, die auf der Grundlage einer Logik helfen, die durchaus herausfordernde Situation zu lösen oder zu verbessern, treten immer mehr Regelungen, welche den Eindruck von Aktionismus hinterlassen. Mit diesem Bild, welches durch das „Wirrwarr“ von inzwischen kaum mehr überschaubaren Normen noch verstärkt wird, verliert man die Unterstützung der Menschen, die wir in der gegenwärtigen Situation doch aber dringend benötigen.
Gemeinsam mit den Menschen vor Ort müssen wir Lösungen für die Menschen vor Ort finden.
Neben dem momentan bestimmenden Thema „Corona“ möchten wir im Rahmen dieses Dokumentes auch kurz auf einen weiteren Bereich eingehen, welcher uns erheblich beschäftigt Fördervorhaben der Straßeninfrastruktur nach der Richtlinie KStB.
Dies noch einmal vorausgeschickt möchten wir einige – uns als wichtig erscheinende – Punkte näher betrachten.
- Die aktuelle Situation um das Thema „Corona“
- Was schützen wir eigentlich?
Verfolgt man die Entwicklung der letzten Wochen, drängt sich der Eindruck auf, die Inzidenz müsse um ihrer selbst willen geschützt werden. Die Werte von 100, 50, 35 oder 10 werden in einer Weise manifestiert, dass es scheint, es könne kein Weg an der Einhaltung dieser Zahlen vorbeiführen.
Wir hatten schon in unserem Schreiben vom Januar 2021 darauf verwiesen, dass den Menschen vor Ort die Inzidenz kaum erklärt werden kann. Die beiden größten Städte des Erzgebirges, Aue-Bad Schlema und Annaberg-Buchholz haben Einwohnerzahlen von jeweils ca. 20.000. Bei dieser Größe wird eine inzidenz von 100 bereits bei einer Zahl von 20 positiv Getesteten in 7 Tagen erreicht, die Inzidenz von 50 dann bei 10 Personen. Die Menschen können es nicht ausreichend einordnen, wenn das gewohnte Leben eine derartige Einschränkung erfährt, wie momentan verfügt, weil 10 bzw. 20 Personen in einem Ort mit 20.000 Einwohnern in einem Zeitraum von 7 Tagen positiv auf Corona getestet worden sind (das sind bei 100er Inzidenz durchschnittlich weniger als 3 festgestellte Infizierte pro Tag) – wobei eine Aussage zur Schwere der Krankheit dabei überhaupt nicht getroffen wird. Es ist inzwischen bekannt, dass ca. 80 % der Infektionsfälle symptomlos oder mit milden Symptomen verlaufen.
Wir haben im Erzgebirge aktuell Kommunen, die eine Größe aufweisen, bei der ein positiv getesteter Fall in 7 Tagen sofort zu einer Inzidenz von über 100 führt. Mit der Inzidenz können wir Bürgermeisterinnen und Oberbürgermeister vor Ort deshalb nicht erklären, warum – erhebliche – Einschränkungen erforderlich waren und möglicherweise auch noch sind.
Schon in unserem genannten Schreiben vom 20. Januar 2021 hatten wir deshalb darauf hingewiesen, dass wir hier vor Ort auf die Situation in den Krankenhäusern der Region abstellen, um Entscheidungen erläutern zu können. Genau das ist doch aber auch das Gemeingut, welches wir schützen möchten – die Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems und damit die Menschen selbst.
Jedem Menschen ist es wichtig, dass er oder seine Familienangehörigen im Falle eines Unfalls oder einer plötzlichen schweren Erkrankung im nächstgelegenen Krankenhaus auch bestmöglich behandelt werden können. Für viele ist es nachvollziehbar, dass aktuell das Ziel verfolgt wird, diese Funktionsfähigkeit sicherzustellen – dafür sind die allermeisten Menschen auch bereit, mitzuwirken. Doch wie stellt sich die Situation dar?
- Die Lage in den örtlichen Krankenhäusern
Wir Bürgermeister haben sehr genau die Entwicklungen in den hiesigen Krankenhäusern beobachtet – vor allem die Zuspitzung der Lage ab Herbst 2020. in einer Telefonkonferenz mit dem SSG Kreisvorstand am 14. Oktober 2020 hatte uns Herr Landrat Frank Vogel über die damals vorliegenden Belegungszahlen in den Kliniken des Erzgebirges informiert – 48 stationär aufgenommene Covid-19-Patienten bei 7 schweren Verläufen auf der Intensivstation. Schon 12 Tage später wurden wir in der außerordentlichen Bürgermeisterkonferenz am 26. Oktober 2020 darüber informiert, dass inzwischen (Stand 25.10.2020) 96 Patienten stationär aufgenommen worden und
13 schwere Verläufe auf der Intensivstation zu verzeichnen waren – nahezu eine Verdoppelung in nur 11 Tagen. Schon damals haben wir Bürgermeister nachgefragt, wie diese Entwicklung zu bewerten ist und welche Konsequenzen daraus gezogen werden müssten.
Heute wissen wir, dass in der Folge der Erzgebirgskreis einer der am stärksten betroffenen Regionen Deutschlands gewesen ist. In der Spitze waren in unserer Region 334 Patienten (14.12.2020) mit einer Covid-19-Erkrankung stationär aufgenommen, die höchste Zahl der beatmeten Intensivpatienten bestand mit 56 am 23.12.2020 – nur einen Tag vor Weihnachten!
Die Bürgermeisterinnen und Oberbürgermeister haben selbst diese Zeit miterlebt, in der wir wussten, dass teilweise nur noch eines oder zwei der insgesamt im Erzgebirgskreis zum damaligen Zeitpunkt verfügbaren Intensivbetten frei gewesen sind – und auch das nur, weil Krankenhäuser Verlegungen von Intensivpatienten in andere Kliniken organisieren konnten. Wir wissen auch, dass die Ärzte, Krankenschwestern und -pfleger sowie das gesamte Personal auf den Covid-Stationen in diesen Tagen an ihrer Belastungsgrenze und darüber hinaus arbeiteten. Und wir haben gehofft, dass wir über diese Tage alle gemeinsam gut kommen – übrigens kann man bei der Schilderung dieser erlebten Situation sehr vielen Menschen erklären, warum Ende des Jahres 2020 geeignete Maßnahmen zur Kontaktreduzierung getroffen werden mussten. Ebenso registrieren die Menschen die bedauerliche Zahl der Todesfälle – dabei handelt es sich schließlich um sehr traurige Schicksale, die sich mitten unter uns in den Städten und Gemeinden ereignen.
Aktuell haben wir im Erzgebirgskreis 57 stationär aufgenommene Covid-19-Patienten und 12 Personen auf der Intensivstation zu verzeichnen (Stand 14.03.2021). Die Situation in den Krankenhäusern hat sich also – auch nach Einschätzung der medizinischen Einrichtungen selbst – entspannt. Trotzdem liegt die Inzidenz bei 154,7 (Stand 15.03.2021), in den letzten Tagen wechselten Unter- und Überschreitungen des Wertes von 100.
Hier zeigt sich ein wesentlicher Diskussionspunkt – obwohl sich der Erzgebirgskreis aktuell um den als kritisch kommunizierten Inzidenzwert von 100 bewegt, bleibt die Lage in den Krankenhäusern auch weiter auf niedrigem Niveau stabil. Unseren Bürgern vor Ort ist deshalb nur sehr eingeschränkt zu erklären, warum auch weiter ganz erhebliche Eingriffe bestehen bleiben sollen, das Erreichen von Inzidenzwerten von 50, 35 oder gar 10 unbedingt erforderlich wäre und inwiefern das mit der neuen Corona-Schutz-VO unmittelbar drohende Szenario sachgerecht sein soll – dazu gleich mehr.
Allerdings möchten wir an dieser Stelle festhalten, dass den Bürgermeisterinnen und Oberbürgermeistern auch bewusst ist, dass die Fallzahlen in den Kliniken zwar erfreulicherweise signifikant gesunken sind, aber zwischenzeitlich seit einigen Wochen auf einem Niveau von ca. 60 stationären Fällen und um die 10 Intensivpatienten stagnieren und derzeit nicht weiter zurückgehen. Uns ist klar, dass die Situation volatil ist und die nächsten Schritte wohlüberlegt und intelligent angegangen werden müssen.
Wir sind deshalb der Auffassung, dass gemeinsam ein Weg gefunden werden muss, der die momentan bestehenden verschiedenen Interessenlagen in einen guten Ausgleich bringt und bei dem möglichst keiner der Beteiligten auf der Strecke bleibt oder schwere Nachteile erleiden muss.
Auch wenn dieser Weg anstrengend ist – wir müssen jeden Tag auf das Neue prüfen, in welcher Weise das zu schützende Gemeingut – also die Funktionsfähigkeit des Gesundheitswesens – (noch) gefährdet ist und welches Mittel für dessen Schutz am besten geeignet ist, zudem muss der gewählte Weg den mildesten Eingriff darstellen -dies verlangt übrigens das Grundgesetz selbst von allen Handelnden.
Um diesen besten Weg müssen wir immer wieder aufs Neue ringen – dies erwarten die Menschen in unseren Städten und Gemeinden und dies erwarten auch wir als Bürgermeisterinnen und Oberbürgermeister.
Die Einbeziehung der Menschen vor Ort ist bisher nicht zufriedenstellend gelungen -mit dem vorliegenden Schriftstück fordern wir ein weiteres Mal die bessere Zusammenarbeit ein, unterbreiten aber gleichzeitig Lösungsansätze.
Keine einheitliche Grundlage für die Ermittlung der Inzidenzwerte
Wir hatten bereits vorstehend ausführlich dargelegt, dass es am Ende vor allem auf die Situation in den regionalen Krankenhäusern ankommt, wenn über die Notwendigkeit von Maßnahmen entschieden werden muss.
Die Inzidenzwerte sind dabei nur eine mittelbare Größe, die helfen soll, das Infektionsgeschehen in Zahlen bewertbar abzubilden.
Dabei ist festzustellen, dass die Ermittlung der Inzidenzzahlen durch Vornahme von Testungen im Laufe des vergangenen Jahres immer in etwas modifizierter Weise erfolgte, was die Vergleichbarkeit reduziert und vor allem im Hinblick auf die neue Corona-Schutz-VO zu Ergebnissen führt, die nicht mehr vermittelbar sind.
Im Frühjahr 2020 wurden – schon aufgrund damals nur eingeschränkt vorhandener Testkapazitäten – nur Menschen getestet, welche sowohl Symptome aufwiesen, als
auch entweder aus einem Risikogebiet heimkehrten oder Kontakt zu einem bereits positiv Getesteten hatten. Im Zuge des Infektionsgeschehens im Herbst 2020 wurden Tests auch bei zahlreichen Kontaktpersonen zu positiv festgestellten Personen durchgeführt, selbst wenn diese keinerlei Symptome aufwiesen. Mit dem erheblichen Anstieg der Fallzahlen wurden diese Tests anschließend wieder auf Personen mit einer Symptomatik konzentriert.
Mit der neuen, seit vergangener Woche geltenden Corona-Schutz-VO sollen Tests sehr breit angelegt werden und damit nicht mehr nur der Nachverfolgung dienen, sondern auch eine Art präventiven bzw. „aufhellenden“ Charakter erlangen.
Diese Testergebnisse und anschließend daraus ermittelten Inzidenzen sind deshalb nur äußerst eingeschränkt mit den bisherigen Werten zu vergleichen.
Es entspricht – wie schon vorgetragen – inzwischen dem Stand der Wissenschaft, dass ca. 80 % der Corona-Infektionen ohne oder mit sehr milden Symptomen einhergehen. Dieser Tatsache ist es immanent, dass eine nicht unerhebliche Dunkelziffer im Infektionsgeschehen vorhanden ist; ebenfalls ein inzwischen allgemeiner Erfahrungssatz.
Mit einer teils vorbeugenden Teststrategie wird man diese Dunkelziffer erhellen können – was im Interesse einer möglichst frühzeitigen Unterbrechung von Infektionsketten durchaus sinnvoll sein kann. Dieser Weg führt zwangsläufig aber dazu, dass positive Tests auch bei symptomlosen oder milden Infektionen (die es auch bisher in gleicher Weise – nur unerkannt – gab) vorliegen werden.
Wenn diese Ergebnisse undifferenziert mit den bisherigen Inzidenzen verglichen werden, ergibt sich ein völlig verzerrtes Bild, da absehbar ist, dass die Werte durch Erfassung der bisher unerkannten Fälle steigen müssen.
Wir hatten oben schon dargestellt, dass die Inzidenz von 100 oder 50 oder gar niedriger bei der Größe der Städte und Gemeinden im Erzgebirge sehr schnell erreicht wird – mit der jetzigen (neuen) Teststrategie werden sich Ergebnisse einstellen, die den Menschen nicht mehr vermittelbar sind und keine Akzeptanz finden werden.
Dies gilt umso mehr, wenn an die auf diese Weise ermittelten Inzidenzwerte konkrete Schritte der Öffnung oder Schließung von Geschäften, Schulen etc. geknüpft werden. Dann wird ein Szenario greifbar, bei dem die genannten Einrichtungen schließen müssen oder gar nicht erst geöffnet werden, da die Inzidenzwerte steigen, aber tatsächlich überhaupt keine (zusätzliche) Gefährdung des Gesundheitssystems eintritt.
Die aktuellen Regelungen müssen deshalb vor diesem Hintergrund noch einmal dringend überdacht und gegebenenfalls angepasst werden. Man kann sich mit breiteren Testungen ein aussagekräftigeres Bild als bisher verschaffen, muss dann aber konsequenterweise auch die (zusätzlich) ermittelten Werte in ein praktikables und angemessenes Verhältnis bringen.
- Impfen als entscheidender Faktor
Im Rahmen der geführten Korrespondenz bestand bereits Einigkeit darüber, dass die Durchführung ausreichender Impfungen ein wesentlicher Faktor im weiteren Geschehen sein wird.
Vor allem mit der Immunisierung der vulnerablen Gruppen haben wir es selbst in der Hand, die Bedeutung des Inzidenzwertes immer weiter abzuschwächen. Hier ist der Freistaat Sachsen aber nicht gut genug!
Wir hatten schon vor 7 Wochen im genannten Schreiben vom 20. Januar 2020 ausdrücklich die Mitwirkungsbereitschaft der Städte und Gemeinden bei der Durchführung von Impfungen, vor allem für die ältere Bevölkerung, vorgetragen. Schon damals hatten wir die Zurverfügungstellung geeigneter Räumlichkeiten, die Erfassung und Kontaktaufnahme bezüglich der älteren Einwohner und die Hilfe beim Transport angeboten – mit dem Ziel, mit Unterstützung von mobilen Impfteams vor Ort zielgerichtet und auf kurzem Wege eine sehr zeitnahe Immunisierung der gefährdeten Gruppen anbieten zu können.
Unser Vorschlag für Impfmobile wurde zwar aufgegriffen, wird mit bisher nur wenigen Fahrzeugen bei 10 Landkreisen und mehr als 400 Kommunen im Freistaat Sachsen wohl aber keine entscheidende Bedeutung (mehr) erlangen können.
Auch der Erzgebirgskreis selbst hat seine Unterstützung im Zusammenhang mit mobilen Impfteams in den einzelnen Orten zugesagt. Hinzu kommen zahlreiche Unterstützungsangebote von Ärzten, Schwestern, medizinischen Versorgern, den sechs Krankenhäusern im Landkreis sowie von einigen Hilfsorganisationen.
Auch dieses Angebot wurde schon vor mehr als einem Monat an die zuständige Staatsministerin übermittelt.
Landkreis und Kommunen stehen gemeinsam für die nächsten Schritte bereit. Umso unverständlicher ist es, wenn dazu bisher seitens des Freistaates Sachsen keinerlei Aussicht auf ein konkretes weiteres Vorgehen gestellt wurde, warum diese schon vor Wochen übermittelten Unterstützungsangebote nicht aufgegriffen und koordiniert werden.
Wir erwarten, dass spätestens mit der Möglichkeit der Einbeziehung der Hausärzte in den Impfprozess – die sehr zügig realisiert werden sollte – die erheblichen Defizite bei der Umsetzung der Impfungen und damit erreichbaren Immunisierung der vulnerablen
Gruppen beseitigt werden. Den Hausärzten sollte dabei ein ausreichender Ermessenspielraum bei der Impfpriorisierung eingeräumt werden.
Es ist unseren Einwohnern nicht mehr vermittelbar, wenn der äußerst wichtige Weg der Bereitstellung von Impfmöglichkeiten seit Wochen zu unstrukturiert und mit vielen Unzulänglichkeiten belastet begangen wird, während andererseits weitere Einschränkungen bestehen bleiben oder neu verfügt werden sollen.
Wichtig sind die – freiwillige – Immunisierung der gefährdeten Gruppen ebenso, wie der Menschen mit vielen Kontakten.
Wir erwarten deshalb, dass der Freistaat Sachsen seine Rolle im Impfprozess nun endlich im erforderlichen Maße ausfüllt. Die kommunale Ebene steht mit den bereits genannten Tätigkeitsfeldern gern unterstützend im Interesse unserer Einwohner zur Verfügung.
- Teststrategie noch zu unstrukturiert
Mit der neuen Corona-Schutz-VO soll die Strategie des Testens eine deutlich größere Bedeutung als bisher erlangen.
Auch die Städte und Gemeinden hatten bereits ein vermehrtes Testen als Begleitmaßnahmen angeregt, wobei wir dabei aber vor allem die Bereiche des Zusammentreffens mit gefährdeten Gruppen (z.B. In Pflegeeinrichtungen, bei Pflegediensten, medizinischen Einrichtungen) oder mit einer Vielzahl von Kontakten zu anderen Menschen, auch mit Multiplikatoren (z.B. Bildungseinrichtungen) als besonders relevant erachtet hatten.
Mit den Regelungen, welche vor wenigen Tagen in Kraft getreten sind, soll die Durchführung von Tests noch viel breiter aufgestellt werden, bis hinein in viele Arbeits und Lebensbereiche.
Auch wenn diese Breite von der kommunalen Ebene nicht für unbedingt erforderlich angesehen wird, wären wir grundsätzlich bereit, im Rahmen unserer Möglichkeiten mitzuhelfen, wenn sich dadurch eine Verbesserung der Situation für die Menschen in unseren Städten und Gemeinden auch tatsächlich erreichen lässt. Umso unverständlicher ist für uns die Sachlage, wie sie sich aktuell darstellt.
Die Regelung zur Durchführung von Tests scheint schon an sich selbst zu scheitern, bevor sie überhaupt in Vollzug gelangt. Bisher ist völlig unklar, wie die Struktur von Testzentren in den Kommunen konkret umgesetzt werden soll.
Selbst wenn uns die Zurverfügungstellung von geeigneten Räumlichkeiten gelingt, ist noch völlig offen, wie genügend Tests einerseits, vor allem aber geeignetes und ausreichendes Personal andererseits bereitgestellt werden sollen. Unter Berücksichtigung der neu in Kraft getretenen Vorschriften meiden sich naturgemäß zahlreiche Bürger in unseren Kommunalverwaltungen mit Fragen zum Procedere – allein, wie die Strukturen tatsächlich aufgebaut und ausreichende Tests durchgeführt werden sollen, wissen die Kommunen einmal mehr bis jetzt nicht.
Hier besteht der Eindruck, dass wieder einmal Schritte verkündet werden, deren Umsetzung noch gar nicht sichergestellt wurde.
Auch an dieser Stelle möchten wir noch einmal deutlich darauf hinweisen, dass die Umsetzung einer breiter angelegten Teststrategie dann auch zu einer Anpassung bzw. sachgerechten Neueinordnung der ermittelten Werte führen muss. Wenn breiter angelegte Testungen anschließend zu Schließungsschritten oder der Verhinderung von Öffnungen führen – bei sonst identischer Sachlage mit bisher nur unerkannten Infektionen – wird die Mitwirkungsbereitschaft der Menschen nicht vorhanden sein.
- Die aktuelle Corona-Schutz-VO
Die aktuelle Corona-Schutz-VO bietet leider ein ganz erhebliches Potential für eine weiter reduzierte Akzeptanz in der Bevölkerung, wie sich schon aus den vorstehenden Ausführungen ergibt. Sie sollte deshalb dringend überdacht und in geeigneter Weise angepasst werden.
Die möglicherweise gut gemeinte Erweiterung von Testungen mit dem Ziel einer Kontrolle des Infektionsgeschehens mit höherer Sicherheit, birgt die greifbare Gefahr des Ansteigens der Inzidenzwerte (dazu wurde gerade ausgeführt).
Wenn die Öffnung oder Schließung von Einrichtungen und die Beschränkung oder Erweiterung von Freiheiten an die so ermittelten Inzidenzen geknüpft wird, besteht das Risiko für ein Szenario, bei dem ein „Jo-Jo“ oder „Ping-Pong“-Effekt eintritt.
Schulen oder Geschäfte können öffnen, müssen möglicherweise kurze Zeit darauf wieder schließen – die aktuelle Entwicklung im Erzgebirgskreis bei einer Inzidenz um die 100 (eine Verschärfung der Situation in den Kliniken ist demgegenüber aktuell nicht ersichtlich!) verdeutlicht sehr anschaulich die Gefahr für ein solches Szenario.
Dieses wäre aber für die Betroffenen – die Eltern, Kinder, Lehrer, Geschäftsinhaber, welche Planungsperspektive benötigen – völlig untragbar. Es ist absehbar, dass die
Akzeptanz in diesem Falle sinken würde – auch bei den kommunalen Verantwortungsträgern.
Wichtig ist deshalb, verantwortungsvoll die nächsten Schritte zu gehen und dabei eine wirklich greif- und belastbare Perspektive herauszuarbeiten.
- Zwischenfazit
Das Abstellen allein auf Inzidenzwerte ist aus unserer Sicht kein geeignetes Kriterium für die weiteren Schritte.
Vielmehr sind die ermittelten Werte in ein belastbares Verhältnis zur Zahl der durchgeführten Tests, zur Gesamtzahl der bereits registrierten Erkrankungen in einer Region (Landkreis), zur Zahl der durchgeführten Impfungen (vor allem der vulnerablen Gruppen) und vor allem aber zur Entwicklung der Situation in den Krankenhäusern zu setzen. Erfreulicherweise wird diese – an den realen Verhältnissen vor Ort ausgerichtete – Betrachtungsweise zwischenzeitlich auch immer mehr im öffentlichen Diskurs vertreten.
Auf dieser Grundlage ist über die weiteren Regelungen verantwortungsbewusst und mit Augenmaß zu entscheiden. Dabei erscheinen vor allem im nächsten Schritt Erleichterungen, welche nur sehr eingeschränkt zu mehr Kontakten und damit überschau- sowie beherrschbaren Infektionsrisiken führen, gut vertretbar. Mit der jetzt gegebenen Möglichkeit der Immunisierung durch Impfung können gezielt gefährdete Gruppen aus dem Infektionsgeschehen genommen werden – das bedeutet, dass ein großer Teil der Kräfte auf die Zurverfügungstellung freiwilliger Impfmöglichkeiten konzentriert werden muss.
Mit der Durchführung auch tatsächlich realisierbarer Tests – insbesondere an den wesentlichen Schnittstellen – lässt sich das Infektionsgeschehen gut verfolgen. Begleitend zu Tests und fortschreitender Immunisierung durch Impfung sind noch geeignete Regelungen zur Kontaktreduzierung fortzuführen – diese verlieren mit dem Fortschreiten der Immunisierung aber immer mehr an Bedeutung und können schrittweise wegfallen.
1. Schulen und Geschäfte
Auf der Grundlage der vorstehenden Ausführungen möchten wir gern auch ein paar gedankliche Anregungen für verschiedene Lebensbereiche übermitteln.
- Schulen
Modelliert man die aktuellen Regelungen der neu in Kraft getretenen Corona-Schutz-VO auf die tatsächlichen Verhältnisse vor Ort, wird aus unserer Sicht ein Korrekturbedarf ersichtlich. Die Anwendung der momentan gültigen Vorschriften führt dazu, dass die Kinder und Schüler im Freistaat Sachsen im Ernstfall unterschiedliche Bildungschancen erhalten – je nachdem, in welchem Landkreis oder in welcher
kreisfreien Stadt sie wohnen und ganz unabhängig von der konkreten Infektionslage in ihrer Kommune oder an der besuchten Schule.
Dies betrifft zum einen die Möglichkeiten der Öffnung der weiterführenden Schuten, aber auch das drohende Szenario der Schließung von Kindereinrichtungen und Grundschulen bei Überschreiten bestimmter Inzidenzwerte.
Es wäre ein Zeichen von Strukturschwäche und Hilflosigkeit der Behörden des Freistaates Sachsen, wenn zum Zwecke des Erreichens eines bestimmten Inzidenzwertes in einem ganzen Landkreis das einzige gefundene Mittel die Komplettschließung von Schulen und Kindereinrichtungen wäre, mit der dann naturgemäß eine Schlechterstellung der Schülerinnen und Schüler im Vergleich zu anderen Regionen einhergehen würde – ganz zu schweigen von den daraus resultierenden Herausforderungen für Schüler, Eltern, Lehrer und Arbeitgeber.
Dies gilt umso mehr, als es dem Freistaat Sachsen bisher bekanntermaßen immer noch nicht gelungen ist, ein einheitliches Konzept für eine lehrplanorientierte Bildung unter Pandemiebedingungen unter Nutzung digitaler Möglichkeiten zu etablieren, welches sicherstellt, dass alle Schüler in allen Orten des Landes und an allen Schulen gleichermaßen eine qualitativ hochwertige Bildung erhalten und damit Chancengleichheit besteht.
Vor allem dem individuellen Engagement vieler Lehrerinnen und Schulleiterinnen ist es zu verdanken, dass die Schüler auch unter den jetzigen Bedingungen eine Ausbildung erhalten. Hinzukommen die unzähligen Stunden, welche die Eltern mit ihren Kindern in der häuslichen Umgebung beim Lernen verbringen -häufig neben ihrer eigenen Arbeitstätigkeit.
Sicherlich zielen die Vorschriften der neuen Corona-Schutz-VO deshalb auch nicht auf ein Szenario des ständigen Wechsels von Öffnungen/ Schließungen der Bildungseinrichtungen ab. Da sich momentan aber sehr viele Fragen zu diesem Thema ergeben, erscheint hier deshalb eine Klarstellung erforderlich.
Gern möchten wir auch hier kurz einige Gedanken übermitteln.
Die Situation zum Umgang mit Schulen eignet sich als Anschauungsfall für die oben vorgetragenen Erwägungen recht gut – und bildet die Handlungsnotwendigkeiten ab.
Wir schützen die Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems und die Menschen, nicht die Inzidenz um ihrer selbst willen!
Es ist inzwischen bekannt, dass Infektionen in der Bevölkerungsgruppe der Kinder und Jugendlichen im Regelfall ohne schwere Symptome verlaufen. Das Auftreten einer
Corona-Infektion unter Kindern und Schülern selbst wird also nicht zu einer Überlastung des Gesundheitssystems führen.
Eine andere Situation kann sich also nur dann ergeben, wenn die Schüler die Infektion in andere – gefährdetere – Bevölkerungsgruppen hineintragen. Genau dort ist die – im Freistaats Sachsen bisher viel zu unstrukturiert gestaltete – Impfstrategie aber besonders wichtig.
Hier müssen zügig zunächst die besonders gefährdeten Gruppen, also die ältere Bevölkerung {Großeltern der Kinder), die Berufsgruppe mit einer Vielzahl von weiteren Kontakten (also die Lehrer) und schließlich die weiteren Familienangehörigen ein konkretes Impfangebot erhalten.
Zur gezielten Immunisierung der älteren Bevölkerungsgruppe und zum Lehrpersonal wurden bisher zwar einige Bekundungen veröffentlicht – gleichwohl mangelt es bislang an der konsequenten und vor allem zügigen Umsetzung dieser Ankündigungen durch die Verantwortungsträger des Freistaates Sachsen.
Bis zur Erreichung einer Immunisierung der soeben genannten Gruppen kann es sinnvoll sein, durch Teststrategien ein Auge auf die Entwicklung in den Schulen zu haben.
Tritt ein Infektionsgeschehen auf, können sich geeignete Maßnahmen zunächst auf einzelne Klassen, möglicherweise eine konkrete Schule vorübergehend erstrecken.
Eine (vorbeugende) Komplettschließung aller Bildungseinrichtungen eines Landkreises zum Zwecke der Erreichung einer Inzidenzzahl, betrachtet abgekoppelt von den oben bereits genannten Faktoren, insbesondere der tatsächlichen Situation in den Kliniken, würde – wie schon ausgeführt – sehr fragwürdig erscheinen.
Verhältnismäßig wäre ein derartiges Vorgehen wohl nicht, die Akzeptanz und Mitwirkungsbereitschaft in der Bevölkerung würde weiter sinken.
- Unternehmensbereich
Schon in unserem Schreiben vom 20. Januar 2021 hatten wir darauf hingewiesen, dass bei Regelungen, welche Geschäfte betreffen, kein rein branchenspezifischer Ansatz gewählt werden sollte, sondern ein Ansatz, welcher auch das konkrete Infektionsrisiko betrachtet – und damit die tatsächliche Gefahr für die Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems.
Macht man es sich nicht zu einfach, wenn Branchen als unproblematisch angesehen werden, weil für diese auf einem Blatt Papier das Öffnen erlaubt wurde, während andere Branchen ihre Läden über Monate geschlossen haiten müssen, weil Ihnen auf diesem Schriftstück das Öffnen nicht gestattet ist – augenscheinlich ohne eine tatsächliche Betrachtung der stattfindenden Kontakte und des daraus resultierenden Infektionsrisikos?
Dürfen die Menschen hier nicht eine Auseinandersetzung mit der konkreten Sachlage erwarten – diejenigen, welche seit Jahren unternehmerische Verantwortung tragen und unsere Innenstädte mitgestalten und beleben? Inzwischen erhalten die Bürgermeisterinnen und Oberbürgermeister seit Monaten Schilderungen, nach denen es in den Bereichen, deren Öffnung erlaubt ist, doch häufiger zu engeren Kontakten, größeren Menschenansammlungen und Gesprächen miteinander kommt – ob in Supermärkten, Postfilialen, Apotheken und vielem mehr.
Tatsächlich ist die Situation in den regionalen Kliniken trotzdem seit Wochen auf niedrigem Niveau stabil – letztlich ein Zeichen dafür, dass bei Einhaltung von Hygienekonzepten und Verantwortungsbewusstsein der Menschen auch eine höhere Kontaktdichte im Zuge des Einkaufsverhaltens offenbar nicht zu einer besonderen (erhöhten) Gefährdung des Gesundheitssystems führt.
Es ist damit folgerichtig, dass Inhaber von Geschäften anderer Branchen, welche ihre Läden seit Wochen geschlossen halten müssen, vermehrt die – wohl berechtigte -Frage stellen, warum für diese eine Öffnung nicht gleichermaßen vorgesehen ist. Tatsächlich finden in den kleinen Innenstadtläden der Kommunen des ländlichen Raumes deutlich weniger Kontakte statt, als in den soeben genannten Bereichen.
Oft befinden sich nur ein oder zwei Kunden gleichzeitig in einem derartigen Geschäft, seien dies Bekleidungs- oder Schuhläden, Schreibwarengeschäfte, Uhren-/ Schmuckläden und vieles mehr in den ländlich geprägten Kommunen. Für diese wäre eine Kontaktminimierung ganz unproblematisch organisierbar, mit geeigneten Hygienekonzepten ist ein tatsächliches (zusätzliches) Infektionsrisiko dort überhaupt nicht ersichtlich.
Es kann durchaus zutreffen, dass Geschäfte aus den genannten Branchen in den Einkaufszentren an den Autobahnen oder in den Großstädten bei einer aktuellen Betrachtung (noch) zu viele Kontakte und damit ein erhöhtes Risiko aufweisen, in den Läden der Kommunen des ländlichen Raumes ist dies offensichtlich nicht der Fall. Deshalb erscheint die Herangehensweise, welche sich am konkreten Risiko orientiert, dem allein branchenbezogenen Ansatz vorzugswürdig.
Verfolgt man die Prämissen der Senkung des Infektionsrisikos einerseits und für den Fall einer doch stattgefundenen Übertragung die Sicherstellung der Kontaktnachverfolgung andererseits, ist es dann nicht sinnvoller, die Begegnung von Menschen unter Einhaltung von Hygienestandards sogar zu ermöglichen und eine Struktur zu unterhalten, bei der den Kontakten nachgegangen werden kann?
Wäre dieser gedankliche Ansatz nicht zum Beispiel sehr erfolgversprechend bei einer (zumindest teiiweisen) Öffnung der gastronomischen oder kulturellen Einrichtungen, die diese Punkte gewährleistet? Kann man die infektionsiage auf diese Weise nicht viel besser steuern und kontrollieren, als wenn derartige Begegnungen hinter verschlossenen Türen im privaten Umfeld stattfinden und eine Nachverfolgung nahezu ausgeschlossen ist, weil die Betroffenen die stattgefundenen Kontakte nicht angeben -da ein Bußgeldverfahren droht?
Wäre es nicht besser, durch geeignete und intelligente Maßnahmen Kontakte zu ermöglichen und die Situation zu steuern, anstatt so zu tun, als würden nun schon seit Wochen kaum Begegnungen zwischen Menschen stattfinden – was realistisch betrachtet und den wiederkehrenden Meldungen zufolge tatsächlich nicht der Fall zu sein scheint?
Als eines der größten Risiken für schwere Verläufe bei einer Infektion mit Covid-19 werden Bluthochdruck und Übergewicht genannt. Wäre es deshalb nicht zumindest überlegenswert, den Menschen Bewegung und sportliche Aktivitäten zu ermöglichen, in den Vereinen, den Sport- oder Fitnessstudios?
Erscheint es – gerade in Anbetracht der momentan recht stabilen Lage in den hiesigen Kliniken – nicht zumindest sinnvoll, dazu weiterführende Gespräche mit den sicher gut aufgestellten Verbänden zu führen, um eine sachgerechte Lösung mit Einhaltung von Hygienekonzepten und Zulassung einer Eigenverantwortung der Menschen zu finden?
Aus unserer Sicht erscheint es sehr sinnvoll, die vorgenannten Punkte einer näheren Betrachtung zu unterziehen und dazu geeignetere Lösungen entlang der tatsächlichen Verhältnisse zu finden. Das kompfette – undifferenzierte – Herunterfahren ganzer Branchen oder Lebensbereiche über Monate hinweg erweckt mit zunehmender Dauer eher den Eindruck einer Plan- oder Hilflosigkeit.
1. Valide Daten und Digitalisierung
Unter Berücksichtigung der bisherigen Ausführungen wird deutlich, dass man trotz Dauer des Infektionsgeschehens von inzwischen einem Jahr immer noch zu wenig weiß – vor allem dahingehend, wo Infektionen tatsächlich vermehrt stattfinden.
Deshalb zieht man immer noch ernsthaft in Betracht, allen Kindern den Präsenzunterricht in einem Landkreis zu verweigern oder sämtliche Gaststätten geschlossen zu halten, um von einer Inzidenz von über 100 – das sind im Erzgebirgskreis bei ca. 335.000 Menschen 335 Betroffene in 7 Tagen (durchschnittlich 48 pro Tag) – unter diese Zahl (dann scheint plötzlich recht viel unproblematisch zu sein, da Öffnungen verfügt werden können, wie in mancher Nachbarregion) oder unter 50 – das sind 167 Betroffene in 7 Tagen (durchschnittlich 24 pro Tag) – oder unter 35 – das sind 117 Betroffene in 7 Tagen (durchschnittlich 17 pro Tag) zu gelangen; 48, 24 bzw. 17 von 335.000.
Letztlich aber mit dem durchaus sehr wichtigen Ziel, dass die Krankenhäuser des Landkreises, insbesondere die Intensivstationen keine Überlastung erfahren, was schon bei Patientenzahlen im unteren dreistelligen Bereich oder 30 – 40 gleichzeitig beatmeten Intensivpatienten droht, wie wir leider Ende des vergangenen Jahres alle miterleben mussten. Dieses Ergebnis ist dennoch deutlich verbesserungsfähig.
Deshalb hatten die Bürgermeisterinnen und Oberbürgermeister schon in ihrem Schreiben vom 20. Januar 2021 dringend angeregt und möchten dies noch einmal wiederholen, dass sehr zeitnah alle geeigneten Wege genutzt werden sollten, um Daten zielgenauer erheben und Vorgänge beschleunigen zu können.
Das Infektionsgeschehen ließe sich viel besser beherrschen und zielgerichteter beeinflussen, wenn die Orte, an denen Infektionen vermehrt stattfinden und die anschließenden Übertragungswege besser lokalisiert würden.
Dazu bietet gerade die Digitalisierung eine Vielzahl von Möglichkeiten, die immer noch zu wenig genutzt werden.
Dieser Ansatz setzt sich fort im Zuge der Realisierung der Impfungen, bei denen die „Zettelwirtschaft“, die uns von zahlreichen Bürgern geschildert wird, endlich durch digitalisierte Vorgänge abgelöst werden könnte. Ebenso betrifft dies die Kontaktierung der gefährdeten Personen, etwa bei Bestehen von Vorerkrankungen, bei denen oft Datensätze vorhanden sind, die im Zuge der aktuellen Prozesse aber oft nicht stimmig verknüpft werden.
Die Verfahren könnten beschleunigt, Maßnahmen punktgenau ausgebracht werden – an dieser Stelle bleibt ein sehr großes Potential ungenutzt.
- Sachstand zur Richtlinie KStB
Wie angekündigt möchten wir noch kurz auf die aktuelle Situation um die Richtlinie KStB eingehen. Dazu hat es kürzlich Verlautbarungen des zuständigen Staatsministers gegeben, die von den Kommunen des Erzgebirgskreises in keiner Weise akzeptiert werden können.
Die kommunale Ebene benötigt Planungssicherheit bei der Umsetzung von Baumaßnahmen der Verkehrsinfrastruktur. Dieses Erfordernis besteht schon im Hinblick auf die eigenen Haushaltspläne, die Schaffung von Planungsvorläufen mit anschließender rechtzeitiger Beantragung von Fördermitteln und die damit verbundene Bindung von Personalkapazitäten. Verstärkt wird dies aber vor allem auch durch die Tatsache, dass gerade im Bereich der Straßeninfrastruktur Abstimmungen mit sämtlichen Versorgungsträgern erforderlich sind, welche die Maßnahmen wiederum in ihren Wirtschaftsplänen verankern müssen. Schließlich soll im Rahmen des grundhaften Straßenausbaus auch regelmäßig die Infrastruktur für den Breitbandausbau mit realisiert werden – doch auch ein als wichtig verkündetes Ziel des Freistaates Sachsen – im Übrigen auch im Zuständigkeitsbereich des genannten Ministeriums.
Aus dem Wunsch zum begleitenden Ausbau der Strukturen für die Digitalisierung sowie den eigenen Vorgaben des Freistaates Sachsen im Rahmen der Förderverfahren ergeben sich im Zuge von Straßenbaumaßnahmen regelmäßig Mehrbedarfe, für welche ein Ausgleich ebenfalls zwingend erforderlich ist. Dies war in den letzten Jahren häufig nicht gewährleistet mit negativen Auswirkungen für die Kommunalhaushalte.
Mit den jüngsten Äußerungen stellt der zuständige Minister dieses gesamte, seit Jahren praktizierte Verfahren in Frage. Der Freistaat Sachsen selbst hat doch ein Fördersystem mit kolossalem Bürokratieaufwand und Aufblähung von Personalressourcen geschaffen, welches de facto Investitionen in die Infrastruktur der Kommunen nur noch mithilfe von Förderprogrammen ermöglicht.
Die finanziellen Zuwendungen im Rahmen des Finanzausgleiches, auch die aktuelle Kompensation der coronabedingten Gewerbesteuerausfälle, hilft doch nur, die kommunalen Eigenanteile im Rahmen der bestehenden Förderprogramme abzubilden – auch, um die Konjunktur am Laufen zu halten.
Ein Wegfall von finanziellen Mitteln über Förderprogramme führt zu einem noch größeren Rückstau bei der Erhaltung der Infrastruktur. Ein Ausgleich über eigene finanzielle Mittel der Kommunen ist realitätsfremd.
Die Kommunen benötigen eine solide und verlässliche Grundlage, eine Perspektive für die mittelfristige Finanzplanung, um ihre Einrichtungen vor Ort zu erhalten – die Straßen infrastruktur ist dabei von zentraler Bedeutung.
Das zuständige Ministerium hatte dem kommunalen Straßenbau bereits mit der Verhängung eines Antragsstopps im Februar 2020 einen schweren Schlag versetzt, der einer Bankrotterklärung gleichkam. Mit den jüngsten Äußerungen werden die Zusagen einer Abarbeitung der bis zum 31.10.2019 eingereichten Anträge in den aktuellen Haushaltsjahren sowie die Etablierung eines zukünftigen vereinfachten, verlässlichen, vor allem aber auskömmlichen Fördersystems grundsätzlich in Frage gestellt.
Dies ist nicht akzeptabel. Wir erwarten hierzu sehr zeitnah belastbare Zusagen, welche den kommunalen Straßenbau auch in den folgenden Jahren ermöglichen und eine auskömmliche Finanzierung sichern.
Wir freuen uns, die vorstehenden Punkte im Rahmen der Videokonferenz am Mittwoch konstruktiv besprechen zu können.
Mit freundlichen Grüßen
für die Städte und Gemeinden des Erzgebirgskreises
Quelle: Reitschuster.de
Bild: Unsplash – Waldemar Brandt
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