Ukraine – Umdenken bei der New York Times?

Ein neuer Podcast von Jens Berger für die Nachdenkseiten.de

Die Idee, die Ukraine könne den Krieg mit westlicher Unterstützung gewinnen und am Ende in den Grenzen von vor 2014 dastehen, sei eine gefährliche Illusion, von der man sich schnellstmöglich verabschieden sollte – was in deutschen Talkshows bestenfalls eine Außenseiterposition ist, machte am Wochenende als Editorial der New York Times von sich reden.

Dabei hatte die New York Times noch im März das genaue Gegenteil verkündet. Ob dieses Umdenken ernst gemeint ist und auch Folgen auf die Politik der USA haben wird, ist natürlich ungewiss. Im November sind in den USA Wahlen und man hat anscheinend Angst davor, dass die Republikaner von den Folgen des Krieges profitieren.

Das „Editorial Board“ der New York Times ist im Guten wie im Schlechten eine Institution im US-Journalismus.

Im Board sind die einflussreichsten Redakteure und Kommentatoren des Blattes vertreten.

Wenn sich das Board mal zu Wort meldet, geht es meist um wichtige, grundsätzliche Fragen. Dabei nimmt das Board – grob gesagt – meist die Mainstream-Position der „liberalen“ Eliten der US-Ostküste ein. Politisch steht man der Biden-Regierung eigentlich sehr nah. In der Frage des Ukraine-Konflikts gehörte das Editorial Board der New York Times stets zu den Falken. Am Tag der Invasion russischer Truppen forderte das Board eine harte Antwort der USA und feierte Anfang März den „heroischen Widerstand“ der Ukraine, den es seitens USA und NATO mit allen Mitteln zu unterstützen gelte.

Doch mittlerweile scheint sich der Wind in den Redaktionsstuben gedreht zu haben. Ein „militärischer Sieg der Ukraine über Russland, bei dem die Ukraine alle Territorien zurückbekommt, die seit 2014 von Russland besetzt wurden“, sei „kein realistisches Ziel“, so heißt es im jüngsten Statement des Editorial Boards.

Im März argumentierte dieses Gremium, dass die Botschaft der Vereinigten Staaten und ihrer Verbündeten an Ukrainer und Russen gleichermaßen lauten muss: Egal, wie lange es dauert, die Ukraine wird frei sein. Die Ukraine verdient Unterstützung gegen Russlands unprovozierte Aggression, und die Vereinigten Staaten müssen ihre NATO-Verbündeten anführen, um Wladimir Putin zu zeigen, dass das atlantische Bündnis willens und in der Lage ist, seinen revanchistischen Ambitionen zu widerstehen.

Dieses Ziel kann sich nicht verschieben, aber letztendlich ist es immer noch nicht in Amerikas bestem Interesse, sich in einen totalen Krieg mit Russland zu stürzen, selbst wenn ein ausgehandelter Frieden der Ukraine einige harte Entscheidungen abverlangen könnte. Und die Ziele und die Strategie der USA in diesem Krieg sind schwieriger zu erkennen, da sich die Parameter der Mission geändert zu haben scheinen.

Man beklagt dabei, dass es den USA an einem klar definierten und realistisch zu erreichenden Ziel fehle. Diese Ziellosigkeit würde die Gefahr mit sich bringen, sich in einen langen Krieg hineinziehen zu lassen, der hohe Kosten mit sich bringt und die Sicherheitslage in Europa gefährdet.

Ohne Klarheit in diesen Fragen riskiert das Weiße Haus nicht nur das Interesse der Amerikaner an der Unterstützung der Ukrainer zu verlieren – die nach wie vor unter dem Verlust von Menschenleben und Existenzen leiden – sondern gefährdet auch den langfristigen Frieden und die Sicherheit auf dem europäischen Kontinent.

Das sind Argumente, die korrekt sind und hierzulande beispielsweise von Sahra Wagenknecht oder den Autoren des Offenen Briefes rund um Alice Schwarzer vorgebracht werden – Stimmen also, die in der öffentlichen Debatte gerne marginalisiert und als Außenseiter-Positionen dargestellt werden.

Die Kernaussage des Editorials ist, dass die USA der Ukraine Grenzen aufzeigen und ihr klarmachen muss, dass die einst auch von den USA selbst ausgegebenen Ziele unrealistisch sind. Am Ende müsse die Ukraine „schmerzhafte“ Kompromisse eingehen.

Die Entscheidungen der ukrainischen Regierung müssen unbedingt auf einer realistischen Einschätzung ihrer Möglichkeiten fußen und davon abhängen, wie viel Zerstörung die Ukraine verkraften kann.

Hat die New York Times etwa ernsthafte Sorgen um die Sicherheit Europas?

Die Botschaft hör’ ich wohl, allein mir fehlt der Glaube.

Zwischen den Zeilen sind nämlich auch ganz andere Aussagen zu finden, die auf das Motiv dieses Umdenkens hinweisen. So machen die New-York-Times-Journalisten bereits jetzt eine bröckelnde Unterstützung aus.

Die Inflation ist für die amerikanischen Wähler ein viel größeres Problem als die Ukraine, und die Störungen der globalen Lebensmittel- und Energiemärkte und Energiemärkte werden sich wahrscheinlich verschärfen.

Bislang sei es nur „eine kleine Gruppe von isolationistischen Republikanern“, die die milliardenschweren „US-Hilfspakete“ kritisieren

aber da der Krieg ja nun in eine „neue und komplizierte Phase“ eintrete und sich wohl noch lange hinziehe, sei „eine anhaltende Unterstützung [nicht] garantiert“ – und das, wo im November doch die so wichtigen Zwischenwahlen sind.

Offenbar hat die New York Times also vor allem davor Angst, dass die Republikaner an den Wahlurnen aus den negativen Folgen des Krieges in der Ukraine für die US-Bürger Kapital schlagen.

Doch wenn es nicht um grundlegende politische Weichenstellungen, sondern vielmehr um den Wahlkampf geht, ist Vorsicht geboten.

Es wäre ja schön, wenn die Angst vor einer Wahlschlappe der Demokraten Biden dazu bringen würde, in einem konstruktiven Sinn auf die Ukraine einzuwirken.

Sonderlich realistisch ist dies jedoch nicht und wer weiß, was das „Editorial Board“ der New York Times als Nächstes schreibt.

Quelle: Nachdenkseiten.de

Bild:Umdenken bei der New York Times jakayla-toney-unsplash

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