Der auf EU-Fragen spezialisierte freie Journalist Eric Bonse, der unter anderem für die taz aus Brüssel berichtet, hat seine Wahlunterlagen sogar erst am 25. Februar, also zwei Tage nach der Wahl, erhalten.Zahlreiche Leser aus dem EU-Ausland – unter anderem aus Griechenland, Spanien und Belgien – haben sich in den letzten Tagen an die NachDenkSeiten gewandt und berichteten, dass ihre Wahlunterlagen erst am Freitag, Samstag vor der Wahl bei ihnen eintrafen, viel zu spät, um noch an der Bundestagswahl teilnehmen zu können.
Wohlgemerkt, wir sprechen hier nicht von Guinea-Bissau oder Haiti, sondern einer um Wochen verspäteten Zustellung in die EU-Hauptstadt Brüssel, etwas mehr als 400 Kilometer Luftlinie von Deutschland entfernt und Teil eines Landes, welches direkt an Deutschland grenzt.
Auch die Tagesschau brachte mehrere Berichte aus EU-Europa, den USA, Lateinamerika und Afrika über die De-facto-Unmöglichkeit für Auslandsdeutsche, an der Wahl teilzunehmen. Selbst hochrangige Diplomaten konnten wegen zu spät zugestellten Wahlunterlagen nicht an der Bundestagswahl teilnehmen. Beispielhaft sei auf den deutschen Botschafter in London, Miguel Berger, verwiesen:„Alle Staatsbürger sollen grundsätzlich an der Wahl teilnehmen können.“Weiter führt der Verfassungsrechtler aus, dass die knappe Frist von 60 Tagen für die Durchführung von Neuwahlen nach Auflösung des Bundestages zwar vom Grundgesetz vorgegeben ist, allerdings hätte seiner Meinung nach das Wahlverfahren für Auslandsdeutsche „rechtzeitig diesen Zeitvorgaben und den aktuellen Gegebenheiten angepasst werden können, damit diese Gruppe von Wahlberechtigten ihr Wahlrecht auch tatsächlich ausüben kann“. Doch genau dies ist augenscheinlich nicht passiert. Falsche Stimmenübermittelung zu Lasten des BSW? Mittlerweile ist jedoch neben der Unmöglichkeit für viele Auslandsdeutsche, an der Bundestagswahl 2025 teilzunehmen, noch eine neue Problematik aufgetaucht. Eine, die noch mehr Fragezeichen aufwirft. Ein erster solcher Fall war für Aachen am Montag nach der Wahl dokumentiert worden. Dort hatte die Kleinstpartei „Bündnis für Deutschland“ (BD) nach offiziellen Angaben 7,24 Prozent der Stimmen erhalten, das „Bündnis Sahra Wagenknecht“ (BSW) angeblich 0,00 Prozent. Der Fall war erst öffentlich geworden, nachdem sich BSW-Wähler beschwerten, die für das BSW gestimmt hatten und dann später die 0,00 Prozent-Angabe sahen.

— MIGO (@MIGO_Offiziell) February 26, 2025Verrückt. Ich habe gerade mal mit nem Script einige der Wahlbezirks-Ergebnisse gesammelt aus Baden-Württemberg. Der Fehler, dass die Stimmen vom BSW dem Bündnis Deutschland zugewiesen wurden, kommt öfters vor. Ich habe allein im ersten Anlauf 250 Stimmen gefunden, und da sind… https://t.co/qmVgwH5d8E pic.twitter.com/lKwr8120jy
Laut BSW-Angaben wurden bisher 600 mutmaßlich falsch zugeordnete Stimmen für zehn Prozent des Wahlgebiets gefunden. Das wären hochgerechnet 6.000 Stimmen für das gesamte Bundesgebiet und damit unter Umständen bereits knapp die Hälfte der fehlenden Stimmen für den Einzug in den Bundestag. Auch DER SPIEGEL widmet sich in einem Artikel mit dem Titel „Sind BSW-Stimmen systematisch verloren gegangen?“ dem Thema. Und kommt zu überraschenden Ergebnissen. Zunächst wird auf die vom BSW genannten Fälle in Aachen und Mecklenburg-Vorpommern verwiesen und dann setzt das Nachrichtenmagazin aus Hamburg eine eigene Datenanalyse für Berlin um.Grundsätzlich ist festzuhalten, dass es statistisch extrem unwahrscheinlich ist, dass das BSW mit fast fünf Prozent der Stimmen und 2,5 Millionen Wählern in zahlreichen Wahllokalen null Stimmen erhält und das Bündnis Deutschland mit etwa 0,2 Prozent der erhaltenen Gesamtstimmen und 60.000 Wählern in denselben Wahllokalen dreistellige Ergebnisse erzielt.
Und voilà, auch in Berlin werden sie in fünf Wahlbezirken fündig:

„In zwei Berliner Wahlbezirken sind beiden Parteien null Stimmen zugeschrieben, in allen anderen knapp 3600 Fällen kommt das BSW auf mehr Stimmen als das BD. Demnach wäre es durchaus plausibel, dass in den fünf auffälligen Wahlbezirken Zahlen bei der Übermittlung vertauscht wurden.“
Interessanter und aufschlussreicher ist aber noch ein anderer Aspekt.
Denn für die Bundestagswahl liegen noch immer nicht alle Zahlen und Korrekturen für eine umfassende Analyse der Wählerstimmen vor. Im Falle der EU-Wahl allerdings schon. Die Änderungen zwischen dem vorläufigen und amtlichen Endergebnis werden in der sogenannten Korrekturtabelle der Bundeswahlleiterin aufgeführt. Auch hier wieder auffällig, darauf weist auch DER SPIEGEL hin, die Stimmvergabe für BSW und BD, die auch bei der EU-Wahl wieder direkt übereinanderstanden. Zwischen dem vorläufigen und dem dann korrigierten endgültigen Ergebnis mussten dem Bündnis für Deutschland 1.205 Stimmen abgezogen und dem BSW 2.808 zugeschlagen werden.
Auch wenn es relativ unwahrscheinlich ist, dass die genannten „Übertragungsfehler“ die Höhe der für den Einzug in den Bundestag notwendigen Stimmen (zwischen 13.000 bis 18.000 je nach Rechenansatz) erreichen – werfen die aufgedeckten Unregelmäßigkeiten Fragen auf, ob die bisher angewandten Kontrollmechanismen bei Wahlen in Deutschland wirklich ausreichend sind. Dasselbe gilt für die Wahlverhinderung Tausender Auslandsdeutscher. Vor diesem Hintergrund erklärte der BSW-Abgeordnete im EU-Parlament Fabio de Masi bereits am Montag:„Uns erreichen viele Nachrichten, die auf Unregelmäßigkeiten bei der Wahl hindeuten. Das sind zum einen viele Zuschriften von Auslandsdeutschen, die das BSW wählen wollten und wütend sind, dass sie dies aus technischen Gründen und behördlichen Fehlplanungen nicht tun konnten.
Das sind zum anderen Zuschriften von Personen, die davon berichten, dass sie in ihrem Wahllokal dem BSW die Stimme gegeben haben, aber in der Auflistung der Stimmenergebnisse dieses Wahllokals das BSW mit 0 Stimmen ausgewiesen wird. Dies geht in häufigen Fällen einher mit einem auffällig hohen Stimmenanteil für das „Bündnis Deutschland“ (was auf dem Stimmzettel zum Teil direkt über uns stand).
Hier könnten Übermittlungsfehler vorliegen.
Wir möchten diese Vorfälle gerne sammeln. Bitte teilt uns solche Vorfälle unter Angabe der Wahllokalnummer und des Wahllokalnamens mit (kontakt@bsw-vg.de).“
„Ich fürchte, diese Wahl wird noch Karlsruhe beschäftigen.“
Ebenso stellt sich die Frage, ob die von der OSZE bereitgestellten sieben Wahlbeobachter für die Bundestagswahl 2025 ausreichend waren für ein Land mit rund 60 Millionen Wahlberechtigten und den aufgeführten Unregelmäßigkeiten.

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