Die drei G – Bundesregierung verteilt Erleichterungen willkürlich

Es gibt jetzt Vorteile für Geimpfte, Genesene und Getestete.

Aber wer nach dem gesunden Menschenverstand genesen ist, ist das für die Bundesregierung noch lange nicht. Stattdessen werden so wagemutige wie wacklige Definitionen geschaffen.

von Dagmar Henn

Früher sagte man den Deutschen einmal nach, sie seien genau, geradezu pingelig. Die Verordnungen, die in jüngster Zeit die Stuben deutscher Ministerien verlassen, deuten aber darauf hin, dass diese Eigenschaft inzwischen verloren gegangen ist.

Seit dem Siebten dieses Monats gibt es eine neue Verordnung, die die Bürger dieses Landes in die Eingeschränkten und die Drei-G-Privilegierten teilt. 

Die drei G stehen dabei für geimpft, genesen und getestet; Menschen, die eines der drei Kriterien erfüllen, dürfen sich weitgehend ohne Einschränkungen treffen und bewegen.

Nun ist schon der Status „geimpft“ nicht unproblematisch, weil sich die Bundesregierung dabei auf die vom Paul-Ehrlich-Institut geführte Liste kapriziert, in der sich nur die von der EU zugelassenen Impfstoffe befinden, in vielen Ländern (auch innerhalb der EU, wie in San Marino oder in Ungarn) aber mit chinesischen oder russischen Impfstoffen geimpft wird, deren Anerkennung die EU nach wie vor blockiert – und man muss nicht allzu viel Fantasie entwickeln, um zu vermuten, dass diese Blockade vor allem von Berlin ausgeht. Reisende aus so manchem Land werden also erstaunt feststellen, dass ihre Impfung in Deutschland nicht zählt.

Noch eigenartiger wird es allerdings bei der Definition der Genesenen. Der normale Menschenverstand sagt, ein Genesener ist jemand, der eine Krankheit durchgemacht hat und wieder gesundet ist. Die neue Verordnung sieht das anders.

Eine genesene Person sei „eine asymptomatische Person, die im Besitz eines auf sie ausgestellten Genesenennachweises ist“. Aha, denkt der geneigte Leser, das muss ein neues Dokument sein, und grübelt schon, welche Behörde ihm diesen Genesenennachweis unter welchen Bedingungen ausstellt.

Aber nein. Der Genesenennachweis wird im nächsten Absatz beschrieben als „ein Nachweis hinsichtlich des Vorliegens einer vorherigen Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 in deutscher, englischer, französischer, italienischer oder spanischer Sprache in verkörperter oder digitaler Form, wenn die zugrundeliegende Testung durch eine Labordiagnostik mittels Nukleinsäurenachweis (PCR, PoC-PCR oder weitere Methoden der Nukleinsäureamplifikationstechnik) erfolgt ist und mindestens 28 Tage sowie maximal sechs Monate zurückliegt“.

Und hier wird es heiter. Nicht nur, dass selbst im Schengen-Raum, in dem vor der Corona-Krise Bewegungsfreiheit herrschte, viele weitere Sprachen gesprochen werden, die hier keine Erwähnung finden, Litauisch, Ungarisch und Isländisch beispielsweise, während das letzte im Schengen-Raum verbliebene englischsprachige Land Malta ist. Auch unsere niederländischen Nachbarn werden begeistert davon sein, dass ein Test in ihrer Sprache in der BRD nicht genügt, um als genesen anerkannt zu werden. Andererseits sorgt schon die jetzt vorgesehene Sprachvielfalt dafür, dass die Umsetzung im Alltag höchst kompliziert werden dürfte.

Die beteiligten Ministerien, das Gesundheits- wie das Justizministerium, haben sich nämlich einen schlanken Fuß gemacht und auf einen Verwaltungsakt verzichtet, der das Genesen-Sein beurkundet: Auf RT-DE-Nachfrage zu dieser Definition verweist das Justiz- auf das Gesundheitsministerium, und dieses wiederum auf das RKI. Wirkliche Gedanken darüber, ob diese Definition rechtlich tragfähig ist, hat sich keiner gemacht. Es wurde nur dafür gesorgt, dass keine Möglichkeit besteht, den Genesenenstatus selbst einzuklagen (was bei einem Verwaltungsakt der Fall wäre), sondern nur die Möglichkeit, eventuell unrechtmäßig verhängte Strafen abzuwehren. Die Freude daran hat erst einmal die Polizei; vorerst sechssprachig.

Im Gegensatz zu Impfpässen, die internationalen Vereinbarungen folgen und weltweit gleich aussehen, können Bescheinigungen, die einen positiven PCR-Test belegen, auch simple Schreiben vom Hausarzt sein oder eben das Ergebnis eines Labors. Für beides gibt es keine Gestaltungsvorschriften. Wie also soll nun ein Polizeibeamter in Fuhlsbüttel feststellen, ob ein Schreiben eines spanischen Arztes echt ist oder nicht?

Das BMJV legt sich übrigens auf seiner eigenen Webseite bezüglich der Strafbarkeit einer Fälschung nicht fest:

 

„Das Herstellen oder Verwenden von gefälschten Gesundheitsnachweisen kann je nach Umständen des Einzelfalls strafbar sein.“


Wer weiß, wie Juristen formulieren, erkennt sofort, dass es Varianten geben muss, die nicht strafbar sind …

Das nächste große Problem dieser Definition ist die Festlegung auf ebendiese PCR-Tests. Schließlich wird nach wie vor nicht jeder, der Symptome aufweist oder der in Quarantäne muss, mit einem PCR-Test getestet. 

Viele stellen nach vergeblichem Bemühen um einen solchen Test erst nachträglich mit einem Antikörpertest fest, dass sie tatsächlich an COVID-19 erkrankt waren. 

Nun hatten sie nicht nur den Ärger mit den vergeblichen Bemühungen, an einen Test zu kommen; ihnen wird zudem noch der Status des Genesenen vorenthalten. Auch auf die Frage, warum Antikörpertests nicht als Nachweis anerkannt werden, erfolgt der Verweis aufs RKI.

In dieser Republik wird gern, bei passender wie unpassender Gelegenheit, betont, wir lebten doch in einem Rechtsstaat. Ein Rechtsstaat muss gewisse Voraussetzungen erfüllen. Eine davon nennt sich Gleichheit vor dem Gesetz. Das heißt, jeder muss in derselben Situation gleich behandelt werden, und Unterscheidungen müssen gut begründet sein.

Genesen zu sein, ist erst einmal ein physiologischer Zustand, der unabhängig von juristischen Definitionen ist. Übrigens auch unabhängig davon, ob er festgestellt oder ertestet wurde, sei es nun per Antikörper- oder per PCR-Test. 

Das aus diesem Zustand folgende geringere Risiko, sich erneut zu infizieren oder andere anzustecken, gilt für alle, für die dieser physiologische Zustand zutrifft. So die Ausgangslage in der wirklichen Welt. Nun ist es zwar möglich, eine gewisse Unschärfe bei der Unterscheidung zwischen den Drei-G-Privilegierten und dem Rest der Menschheit zu begründen; bei Unterscheidungen zwischen unterschiedlichen Genesenen wird es aber kritisch.

Das BMG antwortete auf RT-DE-Nachfrage mit einer kurzen Liste:

„Ein Antikörpernachweis wird nicht als ausreichender Nachweis für eine überstandene COVID-19-Erkrankung erachtet, weil:

  • die nachgewiesenen Antikörper nicht immer wirksam sind,
  • die Menge der Antikörper keinen sicheren Rückschluss auf den Schutz vor einer Infektion zulässt.
  • der Antikörpernachweis auch durch andere Coronaviren verursacht sein kann.
  • der Antikörpernachweis keinen Rückschluss auf den Zeitpunkt der Infektion zulässt.“

Interessanterweise gilt die komplette Liste ebenso für die PCR-Tests. 

Da die PCR-Tests (mit Ausnahme von Impfdurchbrüchen) immer noch keine Information über den Ct-Wert enthalten, belegt ein positiver PCR-Test mitnichten eine Viruslast, die tatsächlich zwingend eine Immunreaktion auslöst. Daher lässt sich auch die Entstehung wirksamer Antikörper nicht per PCR-Test belegen. Der in Deutschland verwendete PCR-Test reagiert auch auf andere Coronaviren, und der Zeitpunkt der Infektion kann ebenfalls nicht festgestellt werden. Aber diese Debatte müsste man ja mit dem RKI führen, weil das BMG die Verantwortung von sich schiebt.

Auch die Tatsache, dass der Genesenenstatus nur für fünf Monate, der des Geimpften aber unbegrenzt gilt, ist dem RKI zu verdanken. Interessanterweise beruht die Einschätzung, dass der Schutz nach einem halben Jahr nachlässt, auf ebenjenen ELISA-Tests auf Immunglobulin G, den das RKI als Nachweis des Genesen-Seins ablehnt … Aber wer erhofft sich schon noch Logik, wenn es um Corona geht?

Das RKI hat viele der Unklarheiten, die es im Zusammenhang mit der natürlich erworbenen Immunität beklagt, selbst herbeigeführt. Schließlich hätte eine Erfassung, die von vornherein den Ct-Wert umfasst und die es möglich gemacht hätte, Mehrfacherkrankungen zu identifizieren (das hängt bis heute am örtlichen Gesundheitsamt), wertvolle Erkenntnisse über Infektionsschwellen und über das Risiko von Zweiterkrankungen geliefert; leider kennt das RKI bis heute den Ct-Wert nur im Zusammenhang mit Impfdurchbrüchen …

Aber selbst wenn das RKI seinen medizinischen Auftrag perfekt erfüllte – die Frage, welche Unterscheidungen zwischen Genesenen bzw. welcher Abstand zwischen der juristischen Definition von „Genesen“ und dem physiologischen Zustand „Genesen“ noch irgendwie mit dem Gebot der Gleichheit vor dem Gesetz vereinbar sind, ist keine medizinische oder epidemiologische, sondern eine juristische, die von Juristen beantwortet werden müsste. 

Und zwar von solchen, die Grundrechte mit der gebotenen Sorgfalt behandeln und sich darüber im Klaren sind, dass die Drei-G-Privilegien nicht nur das Recht umfassen, im Biergarten zu sitzen, sondern durchaus für manche das Recht der Berufsausübung.

Ob sich alle nun nicht „Genesenen“ das widerspruchslos gefallen lassen und wie kreativ der schon für Impfausweise in Bewegung geratene Schwarzmarkt auf das Angebot mit den PCR-Tests reagiert, wird die Zukunft erweisen. 
Auch in der Sprachenfrage steckt noch Musik. Die deutsche Pingeligkeit haben die drei verbündeten Behörden jedenfalls erfolgreich ins Reich der Legende verwiesen.

 

Quelle: RT-Deutsch

Bild: Pixabay – 3centista

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