Happige Vorwürfe von mehreren Professoren: „Unzureichend“ und mit „substanziellen Fehlern“ behaftet sei das von Christian Drosten stammende Gutachten
Ein „mangelhaftes“ Gutachten des Wissenschaftlers beeinflusste das höchste Gericht Deutschlands. Die Leidtragenden waren Kinder.
Vor gut einem Jahr, am 23. April 2021, trat in Deutschland die „Bundesnotbremse“ in Kraft. Sie betraf auch viele Schulkinder. Denn sobald die Zahl positiv auf Sars-CoV-2 Getesteter in einem Ort über 165 pro 100’000 Einwohnerinnen und Einwohner stieg, war der Präsenzunterricht dort verboten, und die Kinder durften nicht in die Schule.
So verlangte es die von der deutschen Regierung beschlossene „Bundesnotbremse“.
Das deutsche Bundesverfassungsgericht stützte diesen Regierungsbeschluss. Es befand, dass es keine milderen, aber genauso wirksamen Massnahmen wie Schulschliessungen gegeben hätte.
Insgesamt hatte das Bundesverfassungsgericht vor seinem Entscheid 31 „sachkundige Dritte“ um Stellungnahmen gebeten, darunter das Institut für Virologie der Charité Berlin.
Die Stellungnahme dieses Instituts – unterzeichnet vom Institutsdirektor Professor Christian Drosten – traf nicht nur mehrere Wochen nach der Frist ein, die das Bundesverfassungsgericht gesetzt hatte. Sie enthielt auch „zahlreiche Mängel“.
„Erhebliche methodische Fehler“
Zu diesem Schluss kommt Ursel Heudorf, Medizinprofessorin und bis zu ihrer Pensionierung im Jahr 2019 stellvertretende Leiterin des Gesundheitsamts Frankfurt am Main. In der jüngsten Ausgabe des „Hessischen Ärzteblatts“ kritisiert Heudorf die damalige Stellungnahme des Instituts für Virologie der Charité.
Heudorf erwähnt Drosten im ganzen Text nie namentlich, sondern bezieht sich stets auf die „Charité-Stellungnahme“. Ihre Vorwürfe sind:
Die Stellungnahme der Charite
- „berücksichtigt nicht ausreichend den vorhandenen wissenschaftlichen Forschungsstand
- gibt Ergebnisse der wenigen, ausgewählten Untersuchungen fehlerhaft wieder,
- begeht erhebliche methodische Fehler und
- zieht daraus epidemiologisch und statistisch nicht nachvollziehbare Schlussfolgerungen.“
Während beispielsweise die „Deutsche Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie“ (DGPI) ihr Gutachten zu Handen des Gerichts auf über 100 Quellen abstützte,
darunter 68 wissenschaftliche Publikationen aus Fachzeitschriften
würden in der „Charité-Stellungnahme“ lediglich 17 Quellen angeführt, von denen
„ganze Sechs“ wissenschaftlich begutachtete Arbeiten gewesen seien.
„Allein dieser Vergleich zeigt, dass deutlich mehr wissenschaftliche Evidenz vorgelegen hatte, die in der Stellungnahme der Charité hätte berücksichtigt werden müssen“
kritisiert Heudorf.
Für sie ist es „nicht nachvollziehbar, wie eine […] fachlich so fehlerhafte Stellungnahme […] zur Grundlage einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts werden konnte, obwohl andere Stellungnahmen deutlich bessere Evidenz angeführt hatten und das Gericht auf die Mängel der Stellungnahme hingewiesen wurde.“
Studien aus China und Indien zitiert, wichtige Studien aus Europa dagegen ignoriert
Ein weiterer Befund Heudorfs:
Der Gutachter führte zwar eine Studie aus China und eine aus Indien an, habe aber aktuelle Studien aus Europa oder Deutschland ignoriert. Auch an anderer Stelle stellt die ehemalige Kinderärztin und Professorin für Hygiene, Umweltmedizin und öffentliches Gesundheitswesen fest, dass die Studienlage in der „Charité-Stellungnahme“ „nur selektiv“ zitiert werde.
So berief sich Drosten beispielsweise auf Zahlen aus England – erwähnte aber nicht den wichtigen britischen „School Infection Survey“.
Für die Frage, ob die Schulen offen bleiben sollen oder nicht, wäre genau dieser Survey aber wichtig gewesen.
Dort wurden regelmässig über 10’000 Schüler und Schülerinnen sowie Mitarbeiter aus etwa 50 Grund- und 100 weiterführenden Schulen in verschiedenen Regionen untersucht.
Ergebnis:
Die Infektionszahlen waren in den Schulen konsistent niedriger als in der ebenfalls standardisiert untersuchten regionalen Bevölkerung.
Es war also in der Charite Studie ein „Gezieltes Herauspicken“
In seinem Plädoyer für die schützende Wirkung von Schulschliessungen liess Drosten überdies andere Umstände ausser Acht, zum Beispiel, dass zeitgleich auch Restaurants, Sportvereine und Kulturveranstaltungen im Lockdown waren, so dass es nicht möglich war, die Infektionszahlen einfach den Schulschliessungen zuzuschreiben.
Auf mehreren Seiten listet Heudorf inhaltliche Mängel der Stellungnahme auf. So sei der Autor beispielsweise davon ausgegangen, dass Infektionen „in schultypischen Jahrgängen“ gleichzusetzen seien mit Infektionen, die in der Schule erworben wurden – doch das ist etwas ganz anderes.
Die Coronatests wurden zwar in der Schule gemacht – doch die Kinder hatten die Infektionen ausserhalb des Schulbetriebs, im Freizeit- und familiären Bereich oder in den Ferien aufgelesen.
„Die Charité-Stellungnahme führt keine einzige empirische Studie an, die zeigt, dass Schüler sich in relevantem Masse untereinander infizieren und/oder Infektionen im signifikanten Umfang in Haushalte oder in vulnerable Gruppen tragen“ – schreibt Heudorf.
Stattdessen argumentierte Drosten unter anderem mit einer Studie aus seinem Labor, die er und seine Kollegen nach heftiger wissenschaftlicher Kritik nochmal überarbeitet hatten.
Auch gezieltes Herauspicken von Informationen aus Studien und Um-Interpretieren stellt Heudorf in seiner Stellungnahme fest.
So seien die Autoren einer Berliner Studie „vorsichtig optimistisch“ gewesen, dass der Schulbetrieb nicht notwendigerweise zu Virusübertragungen von Kind zu Kind führe oder gar ein „Treiber der Pandemie“ sei, wenn Infektionsschutzmassnahmen eingeführt würden.
Sie hielten die Aufrechterhaltung des Schulbetriebes daher unter diesen Bedingungen für vernünftig – auch das schreibt Heudorf.
Drosten indes berief sich auf dieselbe Studie, betonte in seiner Stellungnahme für das Gericht aber das Risiko, das vom Schulbetrieb ausgehen könnte.
„Die in der Charité-Stellungnahme angestellten Kalkulationen ( zu dieser Studie – sind […] absolut spekulativ ) und stehen vor allem in diametralem Gegensatz zu den Schlussfolgerungen der Studienleiter“, hält Heudorf fest.
Professor Drosten wurde um eine Stellungnahme gebeten aber leider sei es ihm aus Zeitgründen nicht möglich, seine Sicht der Dinge zu erläutern.
Einen Tag zuvor hatte die Charité gegenüber einem Reporter der Zeitung „Die Welt“ noch Drostens Sicht der Dinge dargelegt. Der Reporter twitterte einen Auszug davon.
Bereits die Grundannahme des Meinungsbeitrags von Heudorf sei falsch, argumentierte Drosten via Charité, denn das Bundesverfassungsgericht habe sich „nicht allein und auch nicht überwiegend auf die Stellungnahme der Charité gestützt.“
Drostens Retourkutsche an die Adresse von Ursel Heudorf:
„Der fragliche Text gibt allein die persönliche Meinung der Autorin wieder […] Er enthält haltlose und missverständliche Unterstellungen, die sich auch durch das selektive Anführen von Literaturhinweisen nicht erhärten lassen.“
Auch diese Art und Weise der „Verteidigung“ sind wir von Drosten gewohnt
Doch Heudorf steht mit ihrer Kritik nicht allein – und das hätten die Charité und Drosten zu diesem Zeitpunkt bereits wissen können.
„Wir unterstützen die Argumentation von Frau Heudorf ausdrücklich und stimmen ihr in allen genannten Punkten zu“
schrieben die „Deutsche Gesellschaft für Krankenhaushygiene“ (DGKH) und mit ihr mehrere bekannte Professoren für Kinderheilkunde am 25. April, am Tag vor der Replik der Charité.
Das Gutachten des Instituts für Virologie der Charité enthalte „einige substanzielle Fehler“, sei „mangelhaft“ und „unzureichend“, heisst es in der Pressemitteilung der DGKH.
Mehrfach seien in der Charité-Stellungnahme Aspekte ausgeblendet worden, „die den eigenen Schlussfolgerungen komplett widersprochen hätten“.
Das Bundesverfassungsgericht habe sich bei seinem Entscheid „erkennbar“ auf die Charité-Stellungnahme gestützt, so Heudorf.
Und die – Gesellschaft für Krankenhaushygiene – konstatiert:
„Wichtige Aspekte der anderen Gutachten und Mängel der Stellungnahme des Instituts für Virologie der Charité wurden nicht gewürdigt, obwohl das Gericht auf diese Widersprüche und Fehler hingewiesen wurde.“
Aufgrund der von Fachverbänden präsentierten Evidenz hätte das Gericht „dem bis heute vorherrschenden Narrativ der gefährlichen Schulen und der Kinder als „Virenschleuder“ ein Ende setzen müssen“ – so die Schlussfolgerung von Ursula Heudorf.
„Folge dieses Versäumnisses zu Lasten der Schwächsten der Gesellschaft ist, dass Kinder und Jugendliche in Deutschland auch heute noch stärker eingeschränkt werden als Erwachsene – wie nach unserer Kenntnis in kaum einem anderen europäischen Land.“
Es ist nicht das erste Mal, dass Drosten von anderen Wissenschaftlern – in einer wichtigen Angelegenheit – wegen mangelhafter Arbeit kritisiert wird.
So leistete sein Team beispielsweise Vorarbeit für die ersten PCR-Tests – doch auch diese enthielt massive Fehler.
Quelle: Infosperber – SRF
Bild: Radio Qfm Edition
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