Trotz laufender Klagen war die Corona-Politik Thema Nummer eins. Stephan Harbarth hatte das selbst priorisieren wollen, was auf Kritik aus dem Kanzleramt stieß.
Immer mehr brisante Informationen zum ominösen Dinner des obersten Verfassungshüters Stephan Harbarth und Kanzlerin Angela Merkel mitsamt jeweiliger Entourage dringen in die Öffentlichkeit, wie die Welt berichtet.
Der Abend sollte ursprünglich ganz anders ablaufen: Am 30. Juni waren Finanzminister Olaf Scholz zum Thema „Ist die bundesstaatliche Ordnung des Grundgesetzes auch im globalen Krisenfall noch handlungsfähig?“, sowie Innenminister Horst Seehofer zu „Desinformation und hybride Bedrohungen“ eingeladen. Etwa einen Monat vor der Veranstaltung meldete sich der Präsident des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) persönlich im Kanzleramt: Stephan Harbarth bat darum, das Abendprogramm umzustellen. Er wollte eine Auseinandersetzung mit EU- und deutschem Recht forcieren.
Dazu kam der Vortrag „Entscheidung unter Unsicherheiten“ – damit war zweifelsohne die Corona-Krise gemeint – von Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD). Die entsprechenden Unterlagen des Kanzleramts liegen der Welt am Sonntag vor. Im Kanzleramt hieß es, nachdem man grundsätzlich Interesse für die Themen gezeigt hatte:
„Allerdings berühren beide Themen auch aktuelle Streitpunkte (Vertragsverletzungsverfahren nach PSPP-Urteil; laufende Eilanträge gegen die Corona-Notbremse).“
Der prominente Rechtsanwalt und Strafverteidiger Gerhard Strate findet:
„Dieser Hinweis ist bemerkenswert […], obwohl das Bundeskanzleramt ein mulmiges Gefühl hat, dass die Sache zu weit geht, weil laufende Verfahren betroffen sind, werden die Reden trotzdem gehalten.“
Aus der Sicht des Staatsrechtlers Kyrill-Alexander Schwarz könne der Vortrag Lambrechts „wie eine Handlungsempfehlung der Exekutive an das Bundesverfassungsgericht“ aufgefasst werden.
Kurz nachdem die Umstände des Dinners an die Öffentlichkeit geraten waren, hatte Rechtsanwalt Niko Härting, den Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts und Vorsitzenden des Ersten Senats, Stephan Harbarth, sowie Richterin Susanne Baer wegen möglicher Befangenheit abgelehnt – ohne Erfolg. Härting vertritt in Karlsruhe die Abgeordneten der Partei Freie Wähler bei ihrer Klage gegen die Bundesnotbremse.
Harbarths Berufung auf den höchsten Posten in Karlsruhe ist umstritten. Für viele Experten gilt der Anwalt mehrerer Konzerne und CDU-Politiker als zu nah an der Bundeskanzlerin, mit der er unter anderem schon im Wahlkampf posierte. Der Kölner Rechtsanwalt Claus Schmitz äußert sich klar zur Programmänderung am 30. Juni:
„Zur Vorbereitung auf den Abend nordete Harbarth Merkel und ihre Minister ein, wie sie an diesem Abend argumentieren sollten.“
Schmitz hatte bereits 2020 Verfassungsbeschwerde gegen Harbarths Ernennung eingereicht und seine Unabhängigkeit angefochten.
Laut Welt habe Harbarth, die in den Vorträgen beim Abendessen zu besprechenden Themen bzw. Fragestellungen vorformuliert, z.B.:
„Welche Beurteilungsspielräume verbleiben den Gewalten bei tatsächlichen Unklarheiten?“
“Wie viel Überprüfbarkeit verbleibt dem BVerfG?“
“Wie kann Sicherheit gewonnen werden?
„Welche Evaluierungspflichten sind dabei zu berücksichtigen?“.
Im Vorfeld erhielten die Teilnehmer noch ein 22-seitiges Notizschreiben.
Dort heißt es unter anderem:
Eine „gute Faustformel“ bei einer “Entscheidung, die man guten Gewissens so oder so entscheiden kann, innerhalb der Leitplanken unserer verfassungsrechtlichen Werteordnung, sollte nicht durch das Bundesverfassungsgericht getroffen werden, sondern durch Politiker, die von den Wählerinnen und Wählern zur Rechenschaft gezogen werden können.“
Denn die Politik sei nicht frei von gerichtlicher Überprüfung.
Doch klar ist auch:
„Aber es muss in der jeweiligen Zeit gelebt werden.“
Ist das ein Versuch gewesen, die sogenannte „Bundesnotbremse“ als verfassungskonform zu deklarieren? Sowohl Schwarz wie auch Strate erkennen hier den Versuch der Einflussnahme.
An dem Abend hielt auch Verfassungsrichterin Susanne Baer einen Vortrag – der Inhalt ist nicht herauszubekommen.
Es gibt auch keine Information zum Punkt „offene Diskussion im Plenum“.
Es bleibt also abzuwarten, wie über den Befangenheitsantrag gegen Harbarth und Baer in den nächsten Tagen entschieden wird – vielleicht kommt dadurch etwas mehr Licht ins Dunkel des Kanzleramtes und dessen Bande nach Karlsruhe.
Quelle: RT-Deutsch
Bild: Pixabay – WiR_Pixs – Edit
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