Wir wollen die Regierung unterstützen
Die entsprechenden Aussagen machte Walder am 3. Februar 2021 im Rahmen der Gesprächsreihe «Inspirational Talk» der Schweizerischen Management Gesellschaft. Thema: «Digitale Transformation @Ringier». Das virtuelle Gespräch dauert 1:05:18 und wurde vollständig aufgezeichnet. Die entscheidenden Sätze sagt Walder nach Minute 49. «Wo sehen Sie grundsätzlich die Aufgabe der Medien in der Pandemie?», wollte ein Teilnehmer wissen.
Darauf Walder: «Wir hatten in allen Ländern, wo wir tätig sind – und da wäre ich froh, wenn das in diesem Kreis bleibt – auf meine Initiative hin gesagt: ‹Wir wollen die Regierung unterstützen durch unsere mediale Berichterstattung, dass wir alle gut durch die Krise kommen.›» Walder ist offenbar bewusst, dass dieses Bekenntnis seines Eingriffs in die Redaktionsfreiheit Sprengstoff birgt («da wäre ich froh, wenn das in diesem Kreis bleibt») und erklärungsbedürftig ist, denn er fährt fort: «Das mag Sie jetzt überraschen, aber ich will es an einem Beispiel festmachen.» Walder nennt als Musterbeispiel einer Redaktion, die seinen Appell zur Regierungstreue brav umsetzt, die Blick-Gruppe. O-Ton Walder: «Auch die Blick-Gruppe, die jetzt in der Schweiz sehr prägend ist in der Covid-Berichterstattung, könnte deutlich härter – und vielleicht sagen einige von Ihnen: ‹Ja, macht’s doch bitte, die schlafen alle, die packen’s nicht› – sein.» Tun die Blick-Titel aber eben nicht. Im Gegensatz zu ihrem Pendant in Deutschland, der Bild-Zeitung, welche die Regierung «unglaublich hart» und «wahnsinnig hart» angegangen sei.
PR statt Journalismus
Walders Devise ist eine ganz andere: «Meine These ist, um auf diese Frage zurückzukommen: Das nützt im Moment niemandem etwas. Wir müssen versuchen, dass die Politik, ob sie jetzt genug schnell, genug hart, zu wenig hart usw. agiert, das Volk nicht verliert. Und hier dürfen die Medien nicht einen Keil treiben zwischen der Gesellschaft und der Regierung.» Die Medien hätten in der Corona-Krise «eine zusätzliche Dimension an Verantwortung, so würde ich das framen».
Als Journalist, aber auch als Bürger eines demokratischen Staates mit seiner kritischen medialen Öffentlichkeit läuft es mir bei diesen Sätzen kalt den Rücken runter. Solch unverfrorene Komplizenschaft zwischen Staats- und Medienmacht kennt man sonst nur aus autoritären Regimes, um es vorsichtig auszudrücken. Verblüfft nehmen wir zur Kenntnis: Der Traditionsmedienkonzern Ringier schafft sich selbst als unabhängige und kritische Instanz ab und macht statt Journalismus erklärtermassen PR für die Regierung, allen voran für SP-Bundesrat Berset, der längst den Status eines Ringier-Hausfreundes erlangt hat. (
Link zu Artikel «Ertappt: dicke Freunde»)
Ringier sieht Redaktionsfreiheit nicht gefährdet
Wir haben Marc Walder mit seinen Aussagen und insbesondere mit seiner Direktive, die Ringier-Journalisten müssten die Regierung unterstützen, konfrontiert. Die Frage, ob diese inhaltliche Vorgabe des Managements an die Redaktionen nicht deren journalistischer Freiheit widerspreche, lässt Walder durch eine Ringier-Sprecherin mit «Nein» beantworten. «Zwischen Marc Walder und vielen Chefredaktorinnen und Chefredaktoren der Ringier-Gruppe findet seit vielen Jahren ein konstanter und konstruktiver Dialog statt.» So kann man das auch nennen.
Ausserdem wollten wir von Walder wissen, ob es im Hause Ringier üblich sei, dass den Redaktionen vom Management beziehungsweise vom Verlag vorgeschrieben wird, wie sie über bestimmte politische Themen zu schreiben haben. Antwort Ringier: «Die Redaktionen und Mitglieder der Konzernleitung, insbesondere CEO Marc Walder, Ladina Heimgartner als globale Leiterin Medien und Alexander Theobald als CEO von Ringier Axel Springer Schweiz, tauschen sich konstant aus. Die Verantwortung und Hoheit der publizistischen Berichterstattung liegt stets bei den Redaktionen.»
Schliesslich stellten wir Walder die staatspolitische Grundfrage: Wie sollen die Medien ihre Aufgabe als kritische vierte Macht im Staat wahrnehmen, wenn sie die Regierung in zentralen Politikbereichen nicht kritisieren dürfen, sondern unterstützen müssen? Und wie soll man die Medien dann noch als glaubwürdig und unabhängig wahrnehmen? Darauf gehen Walder und Ringier nicht ein. Sie behaupten stattdessen in einer 180-Grad-Wende, dass die Ringier-Gruppe «die Massnahmen der Regierung – gerade während dieser Pandemie – stets kritisch hinterfragt» habe.
Neues Mediengesetz: Anreiz für kritischen Journalismus schwindet
Zusätzliche Brisanz erhält der Befehl von Walder an seine Redaktionen vor dem Hintergrund der Volksabstimmung über ein «Massnahmenpaket zugunsten der Medien» vom 13. Februar 2022.
Das neue Mediengesetz sieht eine Vervielfachung der Subventionen an private Medien von heute 53 auf 178 Millionen Franken jährlich vor und bindet die Medien damit noch enger an den Staat. Ringier würde zu den Hauptprofiteuren zählen, denn rund 70 Prozent der neuen Subventionen gehen an die Grossverlage.
Der Anreiz, staatsunabhängigen und kritischen Journalismus zu machen, dürfte damit gegen Null tendieren. Die Medien, die Ephraim Kishon einst als bellende Wachhunde der Demokratie bezeichnete, würden zu Schosshündchen an der Leine der Politiker schrumpfen.